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Laschon Hara – eher ein Problem des Auges als des Mundes oder der Zunge (Paraschat Tasria 5784)

Was ist die Wurzel von Laschon Hara (übler Nachrede)?

Was ist die Wurzel von Laschon Hara (übler Nachrede)?

Wochenabschnitt Paraschat Tasria: Laschon Hara – eher ein Problem des Auges als des Mundes oder der Zunge

Rav Frand zu Paraschat Tasria 5784

Ergänzungen: S. Weinmann

Weitere Artikel zum Wochenabschnitt Paraschat Tasria, finden Sie hier

Es gibt einen berühmten Midrasch Rabba zu Paraschat Mezora [16:2] (den wir hier gekürzt zitieren), der von einem Hausierer erzählt, der die Städte rund um Zipori bereiste – mit der Behauptung, er würde ein “Sam Chajim – Lebenselixier” (eine Art von Heilmittel oder Zaubertrunk) verkaufen. “Wer will Leben? Wer will Leben?” Um ihn herum versammelten sich regelmässig Menschenmengen, um mehr über das Produkt zu erfahren.

Der Hausierer zog ein Tehillim-Buch (Psalmen) hervor und zitierte folgende Pessukim (Verse): “Mi ha’Isch heChafez Chajim, ohew Jamim lir’ot Tow. Nezor Leschoncha meRa… –  Wer ist der Mensch, der leben möchte, und gerne gute Tage hätte (wörtlich: der Tage liebt, Gutes zu sehen)? Bewahre deine Zunge vor Schlechtem und deine Lippen vor trügerischem Reden.” (Tehillim/Psalm 34:13-14).

Dieser Passuk ist uns allen bekannt. Dies ist der Ausdruck, den der Chafez Chajim als Titel für sein Sefer (Buch) über die Gesetze von Laschon Hara (üble Nachrede) verwendete (mit dessen Namen er danach bekannt wurde).

Raw Nissan Alpert erwähnte einst eine tiefe Einsicht zu diesen Pessukim. Raw Alpert stellte die Frage, wo sich das Fragezeichen im langgezogenen Satz, der mit den Worten “Wer ist der Mensch, der leben möchte” beginnt, befinden sollte. In anderen Worten, wo hört die Frage auf und wo beginnt die Antwort? Die meisten von uns würden wahrscheinlich die Pessukim (wie oben erwähnt) so auslegen, dass die Frage lautet “Wer ist der Mensch, der leben möchte, und gerne gute Tage hätte?”, und dann kommt die Antwort “Derjenige, der die Gewohnheit hat ‘Bewahre deine Zunge vor Schlechtem und deine Lippen vor trügerischem Reden.”

Raw Alpert sagt, dass dies eine unrichtige Satzanalyse des Passuks ist. Raw Alpert meint, dass die Antwort auf die Frage “Wer ist der Mensch, der Leben begehrt?” mit den Worten “Ohew Jamim lir’ot Tow” beginnt. Das heisst, wenn jemand lang leben will, ist das letztendliche Geheimnis für eine lange Lebensdauer das Hüten der Zunge vor Schlechtem und der Lippen vor täuschenden Worten. Es steckt jedoch mehr dahinter. Ein Teil der Antwort ist “der Tage liebt, Gutes zu sehen”. Dies bedeutet, eine positive Lebenshaltung zu haben. Man sollte danach streben, ein Leben des “guten Sehens” zu führen, zu versuchen, das Gute in allem und jedem zu sehen. Das unvermeidliche Resultat einer positiven Einstellung zum Leben wird sein, dass man seine Zunge vor Schlechtem und seine Lippen vor täuschenden Worten hütet.

Der Schlüssel zur Unterlassung des Sprechens von Laschon Hara liegt nicht so sehr im Mund wie im Auge. Wenn wir Menschen sehen und Dinge wahrnehmen, gibt es mehrere Wege, die Dinge anzuschauen.  Wenn man eine negative Haltung gegenüber dem Leben und gegenüber Menschen hat, hat man ein voreingenommenes oder zynisches Auge. Das Resultat ist, dass solch ein Mensch ausnahmslos Laschon Hara spricht.

Ein Mensch, der die Dinge positiv anschaut und der Menschen und Ereignisse in positivem Licht betrachtet, wird weniger Klatsch und weniger üble Nachrede sprechen. Dies ist der Grund, warum “Ohew Jamim lir’ot Tow” (wörtlich: “der Tage liebt, Gutes zu sehen”) ein Teil der Antwort ist, nicht ein Teil der Frage.

Uns ist allen die Geschichte der Meraglim (Spione) in Paraschat Schlach-Lecha bekannt. Sie wurden hinausgeschickt, um das Land zu erkunden. Sie kamen nach ihrer 40-tägigen Mission mit einem negativen Bericht zurück und sprachen Laschon Hara über Erez Jisrael. Als Folge davon wurden die Menschen zu 40 Jahren der Wanderungen in der Wüste verurteilt, ohne das Land betreten zu dürfen. Gemäss den Worten der Tora wurden sie mit “Jom leSchana, Jom leSchana” (für jeden Tag ein Jahr, für jeden Tag ein Jahr) bestraft (Bamidbar 14:34).

Es kann jedoch die Frage gestellt werden: Sie sprachen nicht vierzig Tage lang Laschon Hara. Sie sprachen nur während einer Nacht Laschon Hara, vielleicht nur einige Stunden lang. Welche “entsprechende Bestrafung” ist es, zu sagen, dass sie für jeden Tag, an dem sie sündigten, zu einem Jahr des Wanderns verurteilt wurden? Wo ist die Gerechtigkeit in “Jom leSchana, Jom leSchana”?

Die Antwort ist, dass das Problem nicht nur die wenigen Stunden war, in denen sie ihren negativen Bericht präsentierten. Das Problem war die ganze Zeit der vierzig Tage, in denen sie Erez Jisrael wegen ihrer negativen Haltung in einem negativen Licht wahrnahmen, weil sie nicht Menschen waren die “die die Tage liebten, Gutes zu sehen”.

Chasal sagen zum Beispiel, dass sie berichteten, dass Erez Jisrael “ein Land ist, das seine Einwohner verzehrt”, weil sie an allen Orten, wo sie hinkamen, Begräbnisse sahen; die Menschen begruben ihre Toten. Solch eine Beobachtung kann jedoch auf zwei Arten betrachtet werden. Eine Art ist negativ: Menschen fallen die ganze Zeit tot um. Es ist ein schreckliches Land – Erez ochelet Joschweha (ein Land, das seine Einwohner verzehrt”). Die andere Art ist “Schaut, jeder ist beschäftigt mit den Begräbnissen. Dies muss so sein, weil der Allmächtige uns einen unglaublichen Gefallen tut – er lenkt alle mit Todesfällen und Begräbnissen ab, damit wir unsere Mission unbemerkt und ungestört durchführen können. Was für ein Beispiel der G”ttlichen Vorsehung!

Dies ist ein klassisches Beispiel, wie man dieselben Tatsachen auf zwei verschiedene Wege interpretieren kann – ein Weg führt zur Schlussfolgerung, dass das Land seine Einwohner verzehrt, und der andere Weg führt zur Schlussfolgerung, dass Haschems Gnade zu uns ewig währt. Was ist der Ursprung des Problems? Es ist nicht ein Problem des Mundes oder der Lippen oder der Zunge, ist es ein Problem des Auges, ein Problem der Wahrnehmung.

Dies wird durch die Auslegung betont, die Raw Alpert für die Pessukim in Tehillim nahelegt. Frage: Wer ist der Mensch, der Leben wünscht? Antwort: Derjenige, der die Tage liebt und Gutes sieht, der alle Angelegenheiten auf positive Art betrachtet (ohew Jamim lir’ot Tow). Jemand, der die gute Seite von Dingen sieht, wird von der üblen Nachrede behütet werden.

Mit dieser Haltung können wir – zumindest als Anspielung (Remes) – einen Passuk am Ende von Paraschat Tasria verstehen, der sich mit dem “Kleider-Aussatz” (Zara’at haBeged) befasst. Die Pessukim sagen uns, dass falls der Aussatz nach einer Woche gleich gross ist, der Kohen das Kleidungstück waschen und während weiteren sieben Tagen isolieren muss (Wajikra 13:53-54).

Der nächste Passuk fährt fort: “Der Kohen soll den Aussatz anschauen, nachdem das Kleidungsstück gewaschen wurde (und während weiteren sieben Tagen isoliert war) und siehe! der Aussatz hat “et Ejno” sein Aussehen nicht verändert (unrein ist es, das Kleid muss verbrannt werden). Laut der einfachen Interpretation des Passuks (Peschuto schel Mikra) bedeuten die Worte “et Ejno” “sein Aussehen”. Man kann es jedoch homiletisch interpretieren (dies wird vom Sefer Imrej Schamai so ausgelegt), dass die Bedeutung ist, dass der Aussatz et Ejno” – das Auge – die Wahrnehmung der Person, die das betroffene Kleidungsstück besitzt, sich nicht geändert hat. Es war seine negative Wahrnehmung, die ihn überhaupt zum Problem machte, und solange das “böse Auge” fortbesteht, das Problem des Zara’at bestehen bleibt und, wie die Tora verkündet: Tame Hu” – es ist unrein – es ist nur eine Frage der Wahrnehmung.

Der Sefat Emet weist daraufhin, dass das Wort “Nega” (das die Tora abwechselnd statt “Zara’at” verwendet), das mit “Nun-Gimmel-Ajin” buchstabiert wird, genau dieselben Buchstaben hat wie das Wort “Oneg” (Vergnügen), das mit “Ajin-Nun-Gimmel” buchstabiert wird. Der einzige Unterschied zwischen ihnen ist, wo der Buchstabe Ajin (der auch “Auge” bedeutet) platziert ist. Ist das Ajin am Ende des Wortes platziert? Dann ist es eine “Nega” (Aussatz). Falls das Ajin zu Beginn des Wortes platziert ist, ist es “Oneg” (Vergnügen). Wenn das ” Ajin – Auge” am richtigen Platz ist, wird Nega zu Oneg. Alles ist eine Frage der Wahrnehmung. Laschon Hara ist keine Krankheit des Mundes oder der Zunge. Es ist eine Krankheit des Auges.

Quellen und Persönlichkeiten:

Midrasch Rabba (der grosse Midrasch): Grosse Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch der Tanna’im (Mischnagelehrten) und Amora’im (Talmudgelehrten).

Chafez Chajim: (1838-1933): Rabbi Jisrael Me’ir HaKohen von Radin. Autor grundlegender Werke zu jüdischem Recht und jüdischen Werten (Halachah, Haschkafah und Mussar), wie die Werke ‚Mischna Berura‘, ‚Chafez Chajim‘, ‚Schmirat Halaschon‘, etc. Einer der prominentesten Führer des orthodoxen Judentums vor dem 2. Weltkrieg.   

Sefat Emet: Rabbi Jehuda Leib Alter (1847 – 1905); der zweite Gerrer Rebbe; Polen. Verfasser der bekannten Werke Sefat Emet zum Talmud und Erklärungen zum Chumasch.        

Rav Nissan Alpert [Limudej Nissan] (gest. 1986): Schüler und Nachbar von Rabbi Mosche Feinstein; gestorben kurz nach Rabbi Mosche. Autor des Bibelkommentars Limudej Nissan. Rav der Agudah Long Island in Far Rockaway und Lehrer an der Jeschiwah “Rabbi Jitzchak Elchanan” (RIETS); New York City.

Imrej Schamai, interessante Erklärungen zum Chumasch, von Rav Schamai Ginsburg, (1907-1997), Gelehrter; Polen, Israel

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