Tischri/ Paraschat Ha’asinu
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Makellos (Jom Kippur 5786)

Jom Kippur ist kein Tag der Trauer, sondern ein Tag der Demut, des Innehaltens, und der Läuterung

Makellos (Jom Kippur 5786)

Jom Kippur ist kein Tag der Trauer, sondern ein Tag der Demut, des Innehaltens, und der Läuterung
Foto: AI Avigail

Makellos

Rabbi Berel Wein zu Jom Kippur 5786

mit Ergänzungen von S. Weinmann

Jom Kippur ist der heiligste Tag des jüdischen Kalenders.  Es ist ein Tag der Enthaltung, des Gebets und der Meditation, der Selbstprüfung, der Selbstanalyse und der Reue. Er wird der Schabbat der Schabbatot – der letztendliche Tag des Geistes und der Abgeklärtheit - genannt. Juden kleiden sich in Weiss – Männer tragen üblicherweise ein weisses Gewand, das "Kittel" genannt wird, mit einer weissen Kopfbedeckung während dem G"ttesdienst; Frauen tragen weisse Blusen und/oder Jupes und keinen Schmuck – als Zeichen der Reinheit und unserer Sterblichkeit, denn letztendlich werden wir in weissen Leichenhemden begraben.

Die weissen Kleider sind auch eine Erinnerung an das Gewand des Hohepriesters, das er am Jom Kippur, während des Jom-Kippur-Dienstes im Heiligen Tempel von Jerusalem trägt. Der wichtigste Dienst wurde dann und dort durchgeführt, wobei der Hohepriester die vier weissen Kleidungsstücke – das lange Hemd, die Hosen, den Gürtel und die Mütze trägt; während er die vier goldenen Kleidungstücke – den Mantel mit den Glöckchen, das Brustsschild, die Stirnplatte und die Schürze, die er normalerweise bei der Ausübung seiner Tempel-Pflichten trägt – zur Seite legt. (Allein bei den alltäglichen Tempel-Arbeiten, die an 365 Tagen des Jahres ausgeführt werden, trägt er auch am Jom Kippur die zusätzlichen vier goldenen Gewänder) Die goldenen Gewänder werden zum Jom Kippur-Dienst am Versöhnungstag nicht getragen, da sie Symbole von Erhabenheit und menschlicher Majestät darstellen und zugleich an die Sünde des Goldenen Kalbes erinnern könnten. Jom Kippur jedoch ist ein Tag der Demut, der Zurückhaltung und der inneren Einkehr. Prachtvolle, insbesondere goldene Kleider widersprechen diesem Geist und stehen im Kontrast zur schlichten, ernsten Atmosphäre dieses heiligen Tages.

Am Jom Kippur enthalten sich die Juden der Arbeit, des Essens und Trinkens, der ehelichen Beziehungen, und tragen keine Lederschuhe und waschen ihren Körper nicht. Der Rambam/Maimonides bezeichnet diese Enthaltungen als eine Form der Ruhe, denn Jom Kippur ist der letztendliche Tag der Ruhe – der Schabbat der Schabbatot. Wir ruhen uns an diesem Tag von der Welt und unseren alltäglichen Bedürfnissen aus. Der Tag wird mit dieser Atmosphäre der Abgeklärtheit gekennzeichnet, verbunden mit einer Ernsthaftigkeit des Zwecks, ohne jegliches Gefühl der Trauer. Denn es ist der Tag, da unsere Sünden ausradiert und vergeben werden, und deshalb ist es eine Gelegenheit der Freude und nicht der Trauer.

Wir bekennen unsere Sünden in den Gebetsdiensten von Jom Kippur zehn Mal (einschliesslich des Mincha-Gebets vor Jom Kippur), und wir flehen um himmlisches Verständnis für unsere Gebrechlichkeiten und Schwächen an. Wir geloben auch zu versuchen, uns zu bessern und bessere Juden und feinere Menschen zu werden. All diese Schuldbekenntnisse betreffen jedoch nur die Sünden zwischen unserem Schöpfer und uns – die Sünden, die Jom Kippur uns erlassen kann. Jom Kippur spricht uns jedoch nicht frei von Sünden, die gegenüber anderen Menschen begangen wurden. Jene Sünden werden nur ausradiert, wenn die ungerecht behandelte Partei uns für unsere Handlungen oder Aussprüche verzeiht.

Deshalb ist es für Juden üblich, vor Jom Kippur diejenigen anzusprechen, die vielleicht im Laufe des Jahres ungerecht behandelt wurden, und sie um Verzeihung zu bitten. Ein Jude sollte dem anderen die Verzeihung nicht vorenthalten, wenn er ehrlich darum gebeten wird. Nur wenn wir bereit sind, uns gegenseitig zu verzeihen, können wir auch Haschem bitten, uns für unsere Sünden zu verzeihen.

Zu den Zeiten des Tempels in Jerusalem war der Nachmittag des Jom Kippur eine Zeit für Schidduchim für diejenigen, die einen Partner suchten. Es wurde empfunden, dass die Heiligkeit des Tages einen positiven Einfluss auf die Beteiligten darstellen würde und es ihnen erlauben würde, ihren wahren physischen und geistigen Seelenpartner zu finden.

Die Feinde Israels kennzeichneten Jom Kippur immer als einen speziellen Tag des Hasses gegenüber den Juden. Seit der Hinrichtung von Rabbi Akiwa durch die Römer am Jom Kippur in Caesarea im Jahr 121 unserer Zeitrechnung, dem Holocaust und dem Jom Kippur Krieg von 1973 war Jom Kippur für das Volk Israel immer mit starken Erinnerungen verbunden. Diese Erinnerungen wurden auch in die Gebete des Tages eingebunden. Das Kol Nidrei Gebet, das den Jom Kippur G"ttesdienst einleitet, enthält Andeutungen an das Schicksal der jüdischen Conversos (Marranen) von Spanien nach der Vertreibung im Jahre 1492. Dieses Gebet annulliert falsche Gelöbnisse und erzwungene Verpflichtungen und erlaubt ganz Israel, Sünder und Heiligen, gemeinsam zu beten. Es gibt vielleicht keinen anderen Tag im jüdischen Kalender, der das jüdische Volk so vereinigt wie der Jom Kippur. Er schafft eine soziale Freundschaft, das Wiedergutmachen von Beziehungen zwischen Menschen, den Dienst an Haschem und ein Gefühl der persönlichen Unsterblichkeit und eine Verbindung mit den vergangenen (wir gedenken und zünden Lichter für die Dahingegangenen) und zukünftigen Generationen.

Jom Kippur ist der typische jüdische Tag, unübertroffen und nicht von irgendeinem anderen Glauben oder einer anderen Nation in der Welt kopiert.

Gut Jomtov!

Jehi Sichro Baruch – Möge sein Andenken zum Segen sein.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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