Wochenabschnitt Paraschat Wajechi: Wir machen grössere Anstrengungen, wenn wir einen Eid abgelegt haben
Rav Frand zu Paraschat Wajechi 5785
Ergänzungen: S. Weinmann
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Die letzte Bitte, die der Patriarch Ja’akow an Josef stellte, war: “Begrabe mich im Land Jisrael”. Josef antwortet: “Ich werde gemäss deinen Worten handeln.” Ja’akow verlangt von Josef, diesbezüglich einen Eid abzulegen, und Josef schwor es ihm.
Der Ramban hat eine offenbare Frage, die ein grosses Problem darstellt. Vertraute Ja’akow Awinu seinem geliebten Sohn Josef nicht? Warum war es für ihn nötig, von Josef einen Eid zu fordern? Es scheint beleidigend zu sein, dass er Josef um einen Schwur bat, nachdem Josef Ja’akow schon versichert hatte, dass er seine letzte Bitte erfüllen würde.
Der Ramban betont, dass Ja’akow den Eid von Josef nicht forderte, um ihn dazu zu zwingen, weil er den Verdacht hatte, dass sein treuer und geliebter Sohn die letzte Bitte seines Vaters nicht erfüllen würde. Er legt nahe, dass Ja’akow auf einem Eid von Josef beharrte, um Pharao (Josefs Vorgesetzten) vom Ernst der Angelegenheit zu beeindrucken. Ja’akow befürchtete, dass Pharao Josefs Bitte um ein Verlassen des Landes zurückweisen könnte, und dass es Josef dann unmöglich sein würde in das Land Kena’an zurückzukehren, um seinen Vater dort zu begraben. Die Ausreden Pharaos könnten sein, dass dies auch seine Diener machen könnten, oder dass er das Grab des Propheten Ja’akow in Ägypten haben möchte. Und wirklich geschah es auch so, Pharao wollte ihn zuerst nicht gehen lassen und gab erst nach, als Josef ihm sagte, dass er seinem Vater geschworen habe, dass er dessen Bitte ausführen würde. Ja’akow hatte dies vorausgesehen!
Der Ramban fügt am Schluss noch einen sehr entscheidenden Gedanken hinzu: “Und Josef würde in der Angelegenheit auch gewissenhafter sein, weil er geschworen hatte.” Laut der zweiten Erklärung würde Josef selbst – gemäss Ja’akows Gefühl – mehr tun, nachdem er seine anfängliche Einwilligung mit Ja’akows Gesuch durch einen Eid gestärkt hatte.
Was bedeutet dies? Der Ramban sagt eigentlich, dass Josef HaZaddik ohne den Eid weniger für seinen Vater tun würde. Wie wir früher gefragt haben: Benötigt denn Josef einen Eid, um mehr zu tun?
Dieselbe Frage kann in Paraschat Chaje Sara in der Begebenheit mit Elieser, dem treuen Diener von Awraham Awinu, gestellt werden. Awraham vertraute Elieser mit all seinem Besitz, und doch, als er ihn mit einer Mission beauftragte, eine Frau für seinen Sohn Jizchak zu finden, beharrte er darauf, “Lege deine Hand unter meine Hüfte und schwöre mir, dass du für meinen Sohn Jizchak keine Frau unter den kena’anitischen Töchtern wählen wirst, in deren Mitte ich wohne”. Warum liess Awraham Elieser schwören?
Die Antwort ist auch hier so, wie der Ramban es andeutet – weil der Eid, laut dem er handelte, ihn verpflichtete, eine gewissenhaftere Anstrengung zu unternehmen, als er es normalerweise tun würde. Ein Eid fügt den Handlungen eines sogar sehr zuverlässigen und ergebenen Sohnes oder Dieners ein Element der Intensität hinzu. Was genau fügt ein Eid hinzu?
Das Sefer Imrej Schefer befasst sich mit dieser Angelegenheit. Der Autor meint, dass falls Re’uwen Schimon verspricht, dass er etwas für ihn tun wird, dann jedoch Schwierigkeiten hat, diesen beabsichtigten Plan auszuführen, es zu einem Punkt kommen kann, da Re’uwen sich selbst sagt: “Ich habe mir die grösste Mühe genommen, aber Umstände jenseits meiner Möglichkeiten sind aufgekommen. Es liegt nicht mehr in meiner Kontrolle (ich bin ein Oness).”
Hätte Josef Ja’akow nur versprochen, dass er ihn zum Begräbnis nach Kena’an bringen würde und Pharao dann Einwände angebracht und Josef daran gehindert hätte, das Versprechen an seinem Vater zu erfüllen, hätte Josef sich sagen können: “Ich habe mein Bestes getan. Dies ist alles, was mein Vater von mir erwarten konnte.” Wenn ein Mensch jedoch realisiert, dass etwas Grösseres auf dem Spiel steht als nur sein “Wort”, hat er die Fähigkeit, tiefer zu denken und Kraft zu finden, von der er nie wusste, dass er sie besitzt. Dies ist der Unterschied zwischen Josefs Wort und Josefs Schwur. Wenn etwas Grösseres auf dem Spiel steht, kommt man nicht so schnell mit der Ausrede “Ich habe es versucht!” Das Gewicht der Sünde des Verletzens eines Schwurs bringt einen Menschen zu Angst und Zittern, die die Gefühle, die man empfindet, wenn man nicht fähig ist, etwas auszuführen, was man nur “versprochen” hat, weit übertreffen. Wenn wir einen Eid abgelegt haben, machen wir eine grössere Anstrengung, weil weit mehr auf dem Spiel steht.
So ist die menschliche Natur. Menschen unternehmen eine Anstrengung, aber wenn es wirklich wichtig ist, graben sie tiefer und erschliessen unbekannte Stärken ihres Charakters. Wenn wir über solch ernste Dinge sprechen, zögere ich, Vergleiche aus dem Sport anzubringen, aber wir können es doch in Verbindung bringen. Wir sehen dies in der Welt des Sports. Ich bin kein grosser Fussball-Fan, weil es in meiner Heimatstadt, wo ich aufwuchs, kein NFL-Team gab, sodass ich in meiner “Girsa deJankuta” (Jugendzeit) nicht davon angesteckt wurde, aber ich habe doch ein oberflächliches Interesse daran. Wir erleben ein Phänomen, dass während drei Vierteln des Spieles nichts erreicht wird. Dann wachen sie im letzten Viertel auf. Genauer gesagt – in den letzten zwei Minuten. Während 58 Minuten geschieht nichts. Dann plötzlich kommt Leben ins Spiel.
Was bedeutet diese menschliche Dynamik? Die Interpretation ist, dass sie in diesen letzten zwei Minuten realisieren, was auf dem Spiel steht. Sie wissen, dass es keine Wiederholung gibt. Dann handeln und spielen sie auf eine Weise, wie sie nicht glaubten, spielen zu können, weil mehr auf dem Spiel stand. Für manche Leute ist dieser motivierende Faktor ein Spiel, ein Stichkampf, oder eine Meisterschafts-Serie.
Für uns ist es etwas Anderes. Als Josef realisierte, dass ein Eid zu Haschem auf dem Spiel stand, motivierte es ihn, stärker zu handeln und Dinge zu tun, von denen er nicht einmal wusste, dass er sie tun konnte. Die Lektion, die wir daraus ziehen sollten, ist, dass wenn wir uns manchmal zu sagen versuchen, was auf dem Spiel steht, wir anders handeln. Wenn wir den Wert von Tefilla beZibbur wirklich schätzen, sind wir motiviert, es zu einem Minjan zu schaffen, auch wenn wir viele guten Ausreden dafür haben, ohne Minjan zu dawenen.
Der Ruhm eines Sport-Sieges motiviert diejenigen auf dem Fussballfeld. Für Elieser und Josef motivierte der ehrfurchtgebietende Ernst eines Eides zu Haschem sie dazu, in die tiefsten Winkel ihrer Charakteren einzugehen, um Stärken aufzudecken, die sie sonst nicht aufzeigen würden. Wir werden alle von Dingen, die in unserem Leben wichtig sind, motiviert. Die Herausforderung, der wir uns gegenübersehen, ist es, zu überlegen, was im Leben wirklich wichtig ist, und diese Prioritäten in unserem Bewusstsein zu behalten, wenn wir in Versuchung kommen, Ausreden anzubringen und zu glauben, dass wir “alles getan haben, was wir tun konnten”. Wenn wir diese Prioritäten realisieren, werden wir motiviert sein, das Richtige zu tun, und die inneren Reserven finden, um es zu tun.
Ramban: Akronym von Rabbi Mosche ben Nachman – “Nachmanides” (1194 – 1270); Gerona, Spanien; Erez Jisrael; einer der führenden Toragelehrten (Rischonim) des Mittelalters, einer der Haupterklärer des Chumasch (fünf Bücher Moses), wie Verfasser weiterer Werke in Haschkafa (Kitwej haRamban) und Abhandlungen zum Talmud.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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