Wiederholen wir den Fehler der Benej Gad und Benej Re’uwen?
Rav Frand zu Paraschat Matot 5785
Ergänzungen: S. Weinmann
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Die dieswöchige Parascha beinhaltet die Geschichte der Stämme Gad und Re’uwen, die sich am östlichen Ufer des Jordans niederlassen wollten, anstatt einen Anteil am westlichen Teil des Landes zu erhalten. Sie wünschten ihren Anteil in Transjordanien zu haben, da dort Weideland im Übermass vorhanden war, und sie im Übermass Vieh besassen.
Mosche Rabbejnu meinte zuerst, dass sie sich weigerten, bei der Eroberung von Erez Jisrael mithelfen zu wollen. Sie korrigierten jedoch diesen Eindruck und versprachen: “Viehhürden für unsere Herden wollen wir hier bauen und Städte für unsere Kinder. Wir selbst aber wollen hurtig an der Spitze der Kinder Jisraels gerüstet in den Krieg ziehen, bis wir diese an ihren Ort gebracht haben; nur unsere Kinder mögen zum Schutze gegen die Einwohner des Landes in den befestigten Städten bleiben.” [Bamdibar 32:16-17]
Mosche Rabbejnu entsprach ihrer Bitte, doch er sagte: “Baut euch Städte für eure Kinder und Hürden für euer Vieh, und was ihr mit eurem Munde geäussert habt, sollt ihr tun.” [Bamidbar 32:24]
Wenn wir diese Pessukim (Verse) genau anschauen, dann bemerken wir einen deutlichen Unterschied zwischen dem Angebot der zwei Stämme und Mosches Anweisungen. Die Leute von Gad und Re’uwen hatten vorgeschlagen, dass sie zuerst Hürden für ihr Vieh bauen würden und erst dann Städte für ihre Kinder. Mosche Rabbejnu änderte die Reihenfolge und bestand darauf, dass sie zuerst Städte für ihre Kinder bauen und sich erst danach um Hürden für ihr Vieh sorgen sollten.
Mosche bemerkte, dass sie sich vorrangig um ihr Geld und ihren Besitz sorgten. Das erste, das sie sagten, war “lasst uns Scheunen und Pferche für unser Vieh bauen!” Die Kinder kamen nachher. Und sofort korrigierte Mosche sie: “Zuerst schaut nach euren Kindern und dann nach eurem Vieh.”
Passend zu dieser Begebenheit erklärt der Midrasch Tanchuma [Paraschat Matot 7]
auf den Passuk in Kohelet [10:2]: “Das Herz eines Weisen ist auf seiner rechten Seite, das Herz eines Narren auf seiner linken.” Der Midrasch sagt, “das Herz eines Weisen“ bezieht sich auf Mosche und das “Herz eines Narren“ auf die Leute von Gad und Re’uwen, die falsche Prioritäten setzten. Ihr Geld war ihnen wichtiger als ihre Kinder.
Wenn wir über diesen Vorfall nachdenken, sagen wir zu uns, “Wie dumm können Menschen sein! Wie kann man das Wohlbefinden seines Viehs, vor das seiner Kinder stellen?”
Leider ist diese Einstellung nicht nur vor Tausenden von Jahren bei den Benej Gad und Benej Re’uwen zu finden. Im Laufe der Jahrhunderte geschah dies immer wieder, bis zum heutigen Tage. Wir bringen Opfer, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen und manchmal verlieren wir dabei unsere Kinder.
Wenn wir viele, viele Stunden investieren, um ein Geschäft aufzubauen, uns Kenntnisse anzueignen oder was es nicht sei, und unsere Kinder dabei zu kurz kommen, sehen wir nicht, dass wir den gleichen Fehler machen wie die Benej Gad und Benej Re’uwen. Doch genau dies ist der Fall.
Chasal (unsere Weisen) sagen, die Benej Gad und Benej Re’uwen hielten sich nicht nur für die sieben Jahre der Eroberung im westlichen Teil von Erez Jisrael auf, sie blieben auch noch für die sieben zusätzlichen Jahre der Verteilung des Landes (siehe Raschi 32:24).
Als sie nach 14 Jahren zurückkamen, waren die Kleinkinder, die sie zurückgelassen hatten, Teenager geworden. Chasal sagen, sie hatten lange Haare (wie es bei den Nichtjuden üblich war) und waren nicht mehr von den nicht-jüdischen Kindern zu unterscheiden. Die Rückkehrer waren schockiert. Sie konnten es nicht glauben. Das geschieht, wenn man „Ställe für unser Vieh“ den „Städten für unsere Kinder“ vorzieht.
Rabbi Zadok HaKohen von Lublin sagte einmal, es gebe viele Ta’awot (Lüste, Begierden) in dieser Welt, denen Menschen ständig nachjagen. Einer der grösste Ta’awot in dieser Welt ist die Liebe zum Geld. Alle anderen Ta’awot – wie Essen und alle anderen Sinnesfreuden – kommen irgendwann einmal zu einem Ende. Man kann nur so viel essen, bis man satt ist. Nur die Ta’awa nach Geld hat keine Grenze. Kein Mechanismus in unserem Körper sagt uns “Ich habe genug Geld.” König Schlomo (Salomon) schrieb: “Einer, der Geld liebt, wird nie satt sein vom Geld.” [Kohelet 5:9]
Deshalb sollten wir nicht mit dem Finger auf die Benej Gad und Benej Re’uwen weisen, und sie vorschnell als ‘Narren’ beschimpfen. Es gibt Zeiten, da wir alle das Gleiche tun, nämlich unsere Kinder in den zweiten Rang zu stellen.
Der Ketaw Sofer konzentriert sich auf den letzten Auftrag von Mosche Rabbejnu an die Benej Gad und Benej Re’uwen. Nachdem er die Reihenfolge ihrer Aufgaben umgedreht hatte, fügte Mosche hinzu “und was ihr mit eurem Munde geäussert habt, sollt ihr tun.” Was fügte Mosche mit diesem letzten Satz noch hinzu?
Der Ketaw Sofer antwortet, Mosche wusste genau, mit wem er da diskutierte, mit Menschen, die so geldgierig waren, dass sie das Vermögen ihren Kindern vorzogen. Normalerweise kann man solchen Menschen nicht trauen. Sie versprechen zwar manches, doch halten sie dies nicht ein. Deshalb warnte Mosche sie ausdrücklich – haltet euer Versprechen!
Sie hielten es ein, aber der Schaden war furchtbar!
Quellen und Persönlichkeiten:
Midrasch Tanchuma: Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch. Wird nach dem Amora (Talmudgelehrten) Rabbi Tanchuma Bar Abba benannt, da er am häufigsten in diesem Midrasch zitiert wird. Er war ein jüdischer Amora der 5. Generation, einer der bedeutendsten Aggadisten seiner Zeit.
Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
Ketaw Sofer (1815 – 1871) [Rabbi Awraham Schmuel Binjamin Sofer/Schreiber] Pressburg/Bratislava, Slowakei. Bekannt durch den Namen seines Hauptwerks ‘’Ketaw Sofer’’; Rabbiner, Führungsfigur des ungarischen Judentums und Rosch Jeschiwa der Pressburger Jeschiwa. Nachfolger seines grossen und heiligen Vaters, Rabbi Mosche Sofer, dem ‘’Chatam Sofer’’.
Rabbi Zadok Hakohen Rabinowitsch – Rubinstein von Lublin (1823 – 1900). Chassidischer Weiser und Denker; einer der führenden Tora-Gelehrten des 19. Jahrhunderts. Sein Denken zeichnet sich durch eine Kombination aus gewaltiger Tora-Wissenschaft und den Lehren der Kabbala und des Chassidismus aus. Er gehörte zu den Chassidim von Rabbi Mordechai Josef Leiner, den „Isbizer Radsiner Chassidim“ und zu Rabbi Jehuda Leib Eigers „Lubliner Chassidim“. Erst als seine Rebbes die Welt verliessen, willigte er ein, die Bürde eines chassidischen Rabbis auf sich zu nehmen. Man erzählt über ihn, dass er nie essen wollte, bis er nicht einen Traktat des Talmuds zu Ende gelernt hatte und einen Sijum machen konnte. Das geschah in der Regel jeden Abend! Mit siebzehn Jahren verfasste er bereits sein erstes Werk. Danach folgten unzählige weitere, wie die bekannten Werke Pri Zaddik, Zidkat Hazaddik, etc. Leider ging ein Teil seiner Werke, als Manuskripte, im Holocaust verloren.
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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