Kislew/ Paraschat Wajeschew
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Wie weit reicht die Pflicht von Hakarat Hatow (Dankbarkeit)? – Paraschat Wajischlach 5786

Dankbarkeit – ein Schutz vor verdorbenen Taten!

Dankbarkeit – ein Schutz vor verdorbenen Taten!
Foto: AI Avigail

Wie weit reicht die Pflicht von Hakarat Hatow (Dankbarkeit)?

Rav Frand zu Paraschat Wajischlach 5786

mit Ergänzungen von S. Weinmann

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Der Tur [Siman 417] schreibt bei den Vorschriften von Rosch Chodesch (Neumondstag), im Namen seines Bruders, dass die Wallfahrtsfeste wegen den Vorvätern festgesetzt wurden. Pessach wegen Awraham, wie im Passuk (Vers) angedeutet wird: "Knete und backe Kuchen (Mazzot)" [Bereschit 18:6].   Raschi erklärt in Paraschat Bo [Schemot 12:41], dass die Mal’achim (Engel) am ersten Tag Pessach (15. Nissan) zu Awraham kamen, um die Geburt von Jizchak am nächsten Pessach zu verkünden, und er ihnen damals eine Mahlzeit servierte. Schawuot wegen Jizchak, weil der Schofar-Ton bei der Übergabe der Torah [Schemot 19:19] mit dem linken Horn des Widders erfolgte, der anstelle von Jizchak bei der Akejda (der Bindung Jizchaks) geopfert wurde. (Und mit dem grösseren rechten Horn wird bei der Erlösung Jisraels aus dem Galut (Exil) geblasen werden [Pirkej deRabbi Elieser 31]). Sukkot, schlussendlich, wird Ja'akow zugeordnet, so wie geschrieben steht: "... und für sein Vieh baute er "Sukkot" (Hütten), deshalb wurde der Ort Sukkot genannt." [Bereschit 33:17]

Rav Meir Bergman stellt in seinem Buch Scha'arej Ora eine offenkundige Frage: Wir verstehen, dass Pessach mit Awraham verbunden wird, weil er Sara aufforderte Mazzot zu backen. Das macht Sinn. Zu Awraham gehört das Attribut von Chessed (Wohltätigkeit). Das Zubereiten von Speise und Bedienen von Gästen (hier, trotz grosser Schwäche wegen der Brit Mila) symbolisiert Wohltätigkeit, den Kern von Awrahams Wirken, Deshalb erhielt Jisrael Pessach, das Symbol der grossen Wohltätigkeit des lieben G-ttes bei dem Auszug aus Ägypten, die die Hurtigkeit des Auszuges und das Backen von Mazzot verursachte.

Wir können auch begreifen, dass Schawuot zu Jizchak gehört, weil das Schofar vom Berg Sinai vom Widder der Akejda herstammt. Auch das macht Sinn. Jizchak ist das Sinnbild für Opferbereitschaft ("Messirat Nefesch"). Diese Eigenschaft wird durch den Widder repräsentiert, der Jizchak ersetzte, welcher bereit war, sich als Opfer hinzugeben. Das passt gut zum Leitgedanken der Übergabe der Tora (an Schawuot), weil wir auch für die exakte Einhaltung der Tora etwas von dieser Opferbereitschaft benötigen. Beide Hinweise machen Sinn. Aber wieso versinnbildlicht das Bauen von Hütten für die Schafe die Essenz von Ja'akows Wirken und dadurch den Erhalt des Feiertages Sukkot?

Rav Bergman gibt eine wunderschöne Erklärung zum Kommentar des Tur: Der Or HaChajim Hakadosch stellt zum obigen Passuk folgende Frage: Muss der Ort wirklich "Sukkot" genannt werden - einfach, weil Ja'akow hier kleine Hütten für sein Vieh aufgestellt hat? War dies eine derart wichtige Tätigkeit, nach der der Ort für alle Zeiten mit dem Namen Sukkot benannt werden musste? Der Or Hachajim antwortet, dass Ja’akow mit den Sukkot etwas Revolutionäres für sein Vieh tat, etwas, was vor ihm noch niemand in der ganzen Weltgeschichte getan hatte. Ja'akow war der Erste, der aus Erbarmen mit seinem Vieh, Ställe für sie errichtete. Um diese bahnbrechende Tat zu verewigen, nannte man diesen Ort für alle Zeiten Sukkot.

Die Antwort des Or Hachajim bedarf jedoch weiterer Erläuterung. Rav Bergman erklärt dies wie folgt: Paraschat Wajeschew enthält die Geschichte, wie Josef von Potiphars Frau auf die Probe gestellt wird. Unsere Weisen sagen, dass Josef, als er drauf und dran war, verführt zu werden, bei sich dachte: "Wie kann ich das nur tun? Ihr Ehemann war gegenüber mir so grosszügig. Er gab mir Arbeit, er gab mir Unterkunft - wie kann ich so undankbar sein und so schändlich handeln?"

Was war es, das Josef zu diesen Gewissensbissen brachte? Das Bildnis seines Vaters erschien in diesem Moment am Fenster. Dies hielt ihn davon ab, sich zu versündigen. Was ist die Bedeutung davon?

Das bedeutet, dass Ja'akow seinem Sohn Josef die Hochachtung vor dem Attribut von "Hakarat HaTov" (Anerkennung einer Dankesschuld gegenüber einem anderen) mitgab. Unsere Weisen [Midrasch Raba Bereschit 84:13] leiten dies von der Tatsache ab, das Ja'akow Josef (wie wir in Paraschat Wajeschev lernen) mit dem Auftrag wegschickte: "Bitte gehe und schaue, wie es deinen Brüdern geht und wie es den Schafen geht ..." [Bereschit 37:14]. Ein Mensch ist demnach verpflichtet, sich um Dinge zu kümmern, von denen er Nutzen zieht. Mit anderen Worten: Sogar gegenüber seinen Schafen ist ein Mensch zu "Hakarat HaTov" verpflichtet.

Wenn jemand seinen Lebensunterhalt mit Schafzucht verdient, verlangt das Attribut von Hakarat HaTov, dass er gegenüber seinen Schafen Wertschätzung erweist. Sie sind es, die ihm seinen Lebensunterhalt ermöglichen. Ja'akow Awinus Attribut von Hakarat HaTov ging so weit, dass er Josef beauftragte, nach dem Wohlbefinden der Schafe zu schauen.

Es ist klar, dass für Hakarat HaTov nicht wichtig ist, wer es ist, der uns einen Gefallen erwiesen hat - verpflichtet ist nur der Begünstigte. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob ich von einem Stein oder einem Schaf oder dem Nil Nutzen ziehe. Das Judentum verpflichtet mich, alles zu achten, das mir Wohlbefinden, Schutz oder Lebensunterhalt gibt.

Das war die Torah (Lehre) unseres Vorvaters Ja'akow. Der Auftrag, nach den Schafen zu schauen, war für ihn eine Lehre für den Rest seines Lebens. Sei nicht undankbar. Schätze die Wohltaten, die man dir angedeihen lässt. Als Josef die Prüfung mit der Frau seines Herrn bestehen musste, erschien ihm das Bildnis seines Vaters am Fenster, welches die Lehren von Ja'akow versinnbildlichte.

Das Bildnis seines Vaters Ja'akov stellte keine Warnung vor der schweren Sünde von Unzucht dar. Es warnte ihn vor der Schwere der Sünde von Undankbarkeit. Das war es, was Josef zurückhielt.

Wir kennen nunmehr die Aussage des Or HaChajim. Die Stadt wurde Sukkot genannt, weil Ja'akow der erste Mensch der Weltgeschichte war, der Hütten für seine Tiere aufstellte. Wieso war dies so bedeutend? Jetzt können wir dies verstehen. Das Gefühl von "meine Schafe sollen nicht draussen in Regen und Schnee und Hitze ausharren. Sie sorgen für mich - deshalb muss auch ich für sie sorgen" war eine Eigenschaft von Ja'akow Awinu. Es geht hier nicht um Vermögensverwaltung, dass die Schafe fetter und deshalb einen höheren Verkaufspreis erwirken würden. Es geht um: "Sogar einem Schaf bin ich zu Dank verpflichtet."

Jetzt verstehen wir den Tur. Wir feiern das Fest von Sukkot, weil unser Vorvater Sukkot baute. Ja'akow lehrte uns Hakarat HaTov - sogar gegenüber Tieren, umso mehr gegenüber anderen Menschen und ganz bestimmt gegenüber G'tt. Deshalb sitzen wir jedes Jahr in Sukkot und erfüllen die Tora unseres Vorvaters Ja'akow. Wir danken G'tt, dass er uns aus Ägypten herausgeholt und volle vierzig Jahre in der Wüste in dem Schutz der Hütten unterhalten hat. "Danke schön", darum geht es an Sukkot.

Quellen und Persönlichkeiten:

Pirkej deRabbi Elieser: Midrasch-Erklärungen von Rabbi Elieser ben Horkenus.  Er war einer der grössten Tanna’im in der zweiten Generation, während und nach der Zerstörung des Zweiten Tempels. Er war einer der fünf vorzüglichsten Schüler des Rabban Jochanan ben Sakkai. Sein Lehrer nannte ihn aufgrund seines enormen Wissens „eine abgedichtete Grube, die keinen Tropfen verliert." Er war ein Genosse und Schwager des Fürsten Rabban Gamliel von Jawne.

"Tur" - Rabbi Ja‘akov ben Ascher (1269 – 1343): Köln (Deutschland), Toledo (Spanien). Er war eine halachische Autorität des Mittelalters. Er verfasste berühmte Werke wie die "Arba’a Turim"("vier Reihen", da sein Werk vier Gesetzesabteilungen umfasst), oft nur mit dem Kürzel "Tur" genannt, eine der ersten kompletten jüdischen Gesetzessammlungen, die Basis unseres Schulchan Aruch’s (Gesetzbuch) von Rabbi Josef Karo. Seine Tora-Erklärung wird deshalb "Ba’al HaTurim"(Meister der Turim) genannt.

Or HaChajim Hakadosch (1696 – 1743): Name des Hauptwerks von Rabbi Chajim ben Mosche ben Atar, berühmter Thorakommentar; er verfasste weitere Werke wie Chefez Haschem, P‘ri To‘ar, Rischon Lezion. Marokko, Italien, Israel.

Rav Zwi Bergman: (geb. 1930) Rosch Jeschiwat Raschbi, Benej Berak, Israel. Schwiegersohn von Rav El’asar Menachem Man Schach s.Z.l. Verfasser der Werke: „Scha’arej Orah zum Chumasch und Rambam.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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