Kislew/ Paraschat Mikez
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Re’uwen, Aharon und Boas hegten alle ihre Zweifel (Parschat Wajeschew 5786)

„Hätte er gewusst, dass der Heilige, gelobt sei Er, über ihn schreiben würde, so hätte er mit viel größerer Entschlossenheit gehandelt.“

„Hätte er gewusst, dass der Heilige, gelobt sei Er, über ihn schreiben würde, so hätte er mit viel größerer Entschlossenheit gehandelt.“
Foto: AI Avigail

Re’uwen, Aharon und Boas hegten alle ihre Zweifel

Raw Frand zu Paraschat Wajeschew 5786

mit Ergänzungen von S. Weinmann

Weitere Artikel zum Wochenabschnitt finden Sie hier

Re’uwen versuchte, Josef zu retten. Er wollte sich nicht an einem Mord an seinem Bruder beteiligen. Nach Ansicht der Brüder war Josef ein Rodef – ein Verfolger, der andere mit der Absicht bedrohte, sie zu töten. Sie glaubten, Josef versuche, sie aus dem jüdischen Volk auszuschliessen. Obwohl Chasal (unsere Weisen) sagen, dass die Brüder Josef als einen Verfolger einstuften, der den Tod verdiente, wollte Re’uwen nichts damit zu tun haben.

Er fasste einen eigenen Plan und überredete seine Brüder, Josef in eine Grube zu werfen, statt ihn zu töten. Re’uwen hoffte, später heimlich zurückzukehren, Josef aus der Grube zu befreien und ihn zu ihrem Vater zurückzubringen.

Der Midrasch Rabba in Ruth (5:6) sagt hierzu:

Rabbi Jizchak bar Marion sagte:

„Die Schrift kommt, um dich zu lehren, dass ein Mensch eine Mizwa mit ganzem Herzen ausführen soll.“

Hätte Re’uwen gewusst, dass der Heilige, gelobt sei Er, über ihn schreiben würde: ‚Und Re’uwen hörte es und rettete ihn aus ihrer Hand‘ (Bereschit 37:21), so hätte er Josef auf seinen Schultern zu seinem Vater getragen.

Und hätte Aharon gewusst, dass der Heilige, gelobt sei Er, über ihn schreiben würde: ‚Siehe, er kommt dir entgegen, und wenn er dich sieht, wird er sich freuen‘ (Schemot 4:14), so wäre er ihm mit Trommeln und Tänzen entgegengegangen.

Und hätte Boas gewusst, dass der Heilige, gelobt sei Er, über ihn schreiben würde: ‚Er reichte ihr geröstete Körner, sie ass, wurde satt und es blieb übrig‘ (Ruth 2:14), so hätte er sie mit gemästeten Kälbern gespeist.“

Erklärung

Wenn Re’uwen gewusst hätte, dass G’tt über ihn schreiben würde: „Re’uwen rettete Josef aus ihrer Hand“, hätte er Josef furchtlos und öffentlich auf seinen Schultern zu seinem Vater getragen. Da er jedoch nicht wusste, dass dieses Ereignis in der Tora niedergeschrieben würde, entwarf er einen geheimen Plan – welcher nicht ganz von Erfolg gekrönt war.

Auch Aharon hatte seine Zweifel. Wäre ihm bewusst gewesen, dass sein Verhalten lobend in der Tora festgehalten würde, wäre er Mosche freudig, mit Musikinstrumenten und Tanz entgegengegangen.

Und ebenso bei Boas: Hätte er gewusst, dass G’tt seine Grosszügigkeit veröffentlichen würde, hätte er Ruth nicht nur einige Körner gegeben, sondern sie mit einer üppigen Mahlzeit bewirtet.

Dieser Midrasch beschäftigt mich immer wieder. Auf den ersten Blick scheint er zu sagen, dass Re’uwen, Aharon und Boas „nach Ruhm strebten“ und sich mehr Mühe gegeben hätten, wenn sie mit Öffentlichkeit gerechnet hätten, wenn „die Presse“ da gewesen wäre... Offenkundig möchte der Midrasch aber diese Persönlichkeiten loben – also kann das nicht der Sinn sein.

Was bedeutet dann: „Hätten sie gewusst…“?

Der Midrasch will sagen:
Sie handelten nicht wegen Ruhm oder Anerkennung – im Gegenteil.  Alle drei hatten Zweifel, ob ihr Verhalten überhaupt richtig war.

Re’uwen stellte sich gegen seine Brüder, die zusammen das Bejt Din (Gerichtshof) der Stämme Israels bildeten. Neun von zehn Brüdern kamen zu dem Urteil, dass Josef ein Rodef (Verfolger) sei, der den Tod verdiente. Re’uwen befand sich in der absoluten Minderheit. Möglicherweise, so dachte er, hatten die Brüder Recht – und Josef verdiente tatsächlich den Tod. Darum zögerte Re’uwen. Hätte er gewusst, dass G’tt ihm zustimmte, wäre er mit viel grösserer Entschlossenheit vorgegangen.

Auch Aharon hatte Bedenken: „Was werden die Leute sagen? Ich bin der ältere Bruder! Normalerweise zeigt der Jüngere dem Älteren Respekt – nicht umgekehrt.“ Hätte Aharon gewusst, dass G’tt ihn dafür loben und belohnen würde, wäre er ohne jegliche Hemmungen, mit Musikinstrumenten und Tanz Mosche entgegengegangen.

Boas wiederum fürchtete Gerede: „Die Leute werden fragen, was zwischen mir und Ruth läuft.“ Deshalb hielt er sich zurück. Hätte er gewusst, dass G’tt sein Verhalten gutheisst, hätte er ihr grosszügig eine Festmahlzeit gegeben.

„Wer schreibt heute auf?“ – Der zweite Teil des Midraschs

Weiter sagt der Midrasch:

„Früher, wenn ein Mensch eine Mizwa vollbrachte, schrieb der Prophet sie auf.
Heute – wer schreibt sie auf?
Elijahu schreibt sie auf, und der König-Maschiach und der Heilige, gelobt sei Er, unterzeichnen. So steht geschrieben: ‚Da unterreden sich die Gottesfürchtigen…‘ (Mal’achi 3:16).“

Erklärung

In früheren Zeiten verzeichneten die Propheten besondere Taten der Menschen. Heute aber – wenn jemand eine Mizwa vollbringt und andere darüber spotten – wer hält fest, wer Recht hat?

Der Midrasch antwortet:

Elijahu HaNawi schreibt, und Maschiach sowie G’tt selbst bestätigen es.

Der Prophet Mal’achi beschreibt eine Epoche – unmittelbar vor dem Kommen des Maschiach –, in der die Mehrheit die Einhaltung der Mizwot verspottet. Die Gesellschaft sagt:

  • „Das sind Ewiggestrige.“
  • „Nicht modern.“
  • „Nicht zeitgemäss.“

Es wird scheinen, als ob die anderen Kräfte dominieren.

Dann werden viele zögern und unsicher sein – so wie Re’uwen, Aharon und Boas. Sie werden sich fragen:

  • „Vielleicht liegen sie richtig?“
  • „Vielleicht sind wir altmodisch?“
  • „Vielleicht sind wir auf dem Holzweg?“

Doch G’tt verspricht für jene Zeit:

„Tu, was du als richtig erkennst.
Hüte die Tora, halte den Glauben, bewahre das Feuer. Ich, Elijahu und der Maschiach selbst werden bezeugen, dass du im Recht warst.“

Quellen und Persönlichkeiten:

Midrasch Rabba (der grosse Midrasch): Grosse Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum TENACH der Tanna’im (Mischnagelehrten) und Amora’im (Talmudgelehrten).

Raschi, (1040-1105), Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak, Rabbi Schlomo Jizchaki oder Rabban Schel Jisrael (der Grosslehrer Jisraels), meist jedoch nur Raschi genannt; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland). Er war ein französischer Rabbiner und massgeblicher Kommentator des Tenach und Talmuds; „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“. Er ist einer der bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters. Sein Bibelkommentar wird bis heute studiert und in den meisten jüdischen Bibelausgaben abgedruckt; sein Kommentar zum babylonischen Talmud gilt ebenfalls als einer der wichtigsten und ist allen gedruckten Ausgaben beigefügt.

Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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