Wochenabschnitt Parascht Tezawe: Niemand kandidiert für das Amt des Gadol Hador
Rav Frand zu Paraschat Tezawe 5784
Ergänzungen: S. Weinmann
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Die Tora spricht in unserem Wochenabschnitt über die Herstellung der Bigdej Kehuna (der Priesterkleidung). Dann geht die Tora zu den Aufgaben bei der Einweihung des Mischkan über. Einer der Aufgaben war, dass der Allmächtige Mosche beauftragte: “Du sollst damit (mit den neu hergestellten Priesterkleidern) deinen Bruder Aharon und seine Söhne bekleiden” (Schemot 28:41). Und hier, obwohl die Kohanim sich in der Ausführung ihrer priesterlichen Pflichten routinemässig selbst kleideten, gab Haschem Mosche Rabbejnu den Auftrag, ihnen beim ersten Mal, da sie die neu hergestellten Bigdej Kehuna benützten, persönlich diese Kleidungsstücke anzuziehen.
Das Interessante ist, dass wir denselben Brauch in Sefer Bamidbar (in Paraschat Chukat) finden. Als Aharon Hakohen am Berg Hor Hahar starb und sein Sohn El’asar dessen Rolle als Kohen Gadol (Hohepriester) übernahm, die Tora dasselbe sagt: “Und Mosche zog die Kleider von Aharon aus und bekleidete seinen Sohn Elasar damit…” (Bamidbar 20:28). Wir sehen da, dass als Aharon und seine Söhne zum ersten Mal Kohanim wurden, Mosche ihnen die Bigdej Kehuna anziehen musste, und auch als Aharon starb und El’asar zum ersten Mal Kohen Gadol wurde, Mosche Aharons Bigdej Kehuna El’asar anziehen musste.
Ich sah im Sefer Milchamot Jehuda, dass dies uns eine Lehre über einen jüdischen Führungsstil erteilt, der sich von der Methode der Nationen der Welt unterscheidet. Wenn jemand für ein Amt kandidiert, beruft er eine Pressekonferenz ein oder steht vor seinem Mittelschul-Gebäude und verkündet vor jedem: “Ich bin der beste und qualifizierteste Mensch im Land, um euer Bürgermeister, Gouverneur oder Präsident zu werden.” So funktioniert es in der Regel.
Hat je jemand für die Position des “Gadol Hador” (des grössten Weisen der Generation) kandidiert? Ging Raw Mosche Feinstein auf die FDR Autobahn und stand vor seiner kleinen Wohnung und sagte: “Ich in der Gadol Hador” oder “Bitte, wählt mich zum Gadol Hador, weil ich der grösste Talmid Chacham (Tora-Gelehrter) im Land bin”? Nein, so geschieht es nicht. Wer wählt den “Gadol Hador”? Niemand! Die Leute vereinigen sich um ihn durch Überzeugung. Menschen sehen in ihm einen Menschen, der geeignet ist, der Gadol Hador zu sein.
Dieser Prozess begann hier, in der dieswöchigen Parascha – Paraschat Tezawe. Die Tatsache, dass Mosche Rabbejnu Aharon mit diesen Kleidungsstücken bekleidete und ihn zum Kohen Gadol machte, schafft die Voraussetzung und legt den Ton fest, dass dies der Weg ist, wie wir unsere Führer einweihen. Jemand anders muss ihn ernennen.
Vor seinem Ableben verkündete Rav El’asar Schach, dass Rav Aharon Leib Steinman nach seinem Ableben der Possek für die Jeschiwot werden sollte. Raw Aharon Leib Steinmann stand nicht auf und kandidierte für das Amt. Er wurde ernannt. Wer ernannte ihn? Jemand, der grösser war als er – Rav Schach. So war es immer. Wissen Sie, wo dies begonnen hat? Es begann hier in Paraschat Tezawe und ging weiter in Paraschat Chukat (als Mosche El’asar Hakohen mit den Bigdej Kehuna bekleidete). Mosche Rabbejnu musste ihm die Kleider anziehen. Die Führung selbst zu übernehmen, ist nicht der jüdische Weg.
Jedoch gibt es Situationen, in der die Tora bestimmt, dass wir eine würdige Person, vor der anderen würdigen Person bevorzugen sollten, wie wir im nächsten Beitrag sehen werden:
Krieg ist eine Anomalie
Der Passuk sagt: “Sieben Tage hindurch soll sie der Priester anziehen, der ihm von seinen Söhnen folgt, derjenige, der in das Stiftszelt zu gehen hat, um im Heiligtum den Dienst zu verrichten” (Schemot 29:30). Raschi erklärt, dass dieser Passuk sagen will, dass der Sohn des früheren Kohen Gadol (Hohepriester) das Recht hat, nach seinem Vater Kohen Gadol zu werden – vorausgesetzt, dass er es würdig ist, in dieser Position zu dienen. Der Passuk schliesst mit den Worten: “…ascher jawo el Ohel Moed, lescharet baKodesch”, der ins Stiftszelt zu gehen hat, um im Heiligtum den Dienst zu verrichten, das bedeutet, sagt Raschi, jener Priester, der dazu bestimmt ist, am Jom Kippur ins Allerheiligste hineinzugehen, das ist der Hohepriester, da der Dienst von Jom Kippur nur durch ihn verrichtet werden darf (Traktat Joma 73a).
Nun, es ist bekannt, dass es auch einen Kohen Maschu’ach Milchama (ein Priester, der für den Krieg gesalbt wurde) gibt. Seine Aufgabe wird u.a. in Sefer Dewarim (20:2-4) beschrieben. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Soldaten im Krieg zu begleiten und sie zu stärken.
Der Talmud (Joma 72b-73a) sagt: “Ich könnte meinen, dass der Sohn des Kohen, der für den Krieg ernannt und gesalbt wurde (Maschuach Milchama) die Nachfolge seines Vaters in gleicher Weise antritt, wie der Sohn eines Kohen Gadol die Nachfolge seines Vaters übernimmt!” Darauf antwortet der Talmud, dass dies nicht der Fall ist; der Talmud lernt diese Ausnahme aus dem Passuk, den wir oben zitiert haben. Nur jemand, der “geeignet ist, ins Stiftszelt zu gehen, um im Heiligtum (Allerheiligsten) den Dienst zu verrichten,” der kann sein Amt seinem Sohn vererben, aber jemand, der nicht ins Heiligtum (Allerheiligsten) eintreten darf (weil er kein Kohen Gadol ist), vererbt sein Amt nicht seinem Sohn.
Warum ist dies so? Wenn das ‘Hohepriester-Amt’ vom Vater zum Sohn weitergeht, warum sollte dann das ‘Amt des Maschuach Milchama’ nicht auch vom Vater zum Sohn weitergehen? Es stimmt, dass die Gemara dies aus dem obenzitierten Vers folgert, was ist jedoch der Sinn dieser Bestimmung?
Ich habe eine Erklärung im Namen von Rabbi Awraham Jizchak Hakohen Kook sZl. zur Frage gehört, warum wir das Amt des Kohen, der für den Krieg ernannt wurde, nicht durch Erbschaft weitergeben. Raw Kook erklärt, dass eine Erbschaft sich um Kontinuität handelt. Sie geht vom Vater zum Sohn, vom Sohn zum Enkel, vom Enkel zum Urenkel. Es handelt sich um “Hemschech”, Kontinuität. Dies ist angemessen für die Kehuna Gedola (Hohepriesterschaft). Der Talmud sagt, dass dies auch für eine rabbinische Führung angemessen ist. Idealerweise sollte das Rabbanut vom Vater zum Sohn übergehen, falls der Sohn der Position würdig ist.
Es gibt jedoch einen Bereich im jüdischen Leben, wo die Kontinuität nicht angemessen ist. Im Gegenteil, wir wollen die Kontinuität nicht betonen. Dieser Bereich ist der Krieg. Ein Krieg sollte nicht eine permanente Funktion im jüdischen Leben sein. Der Krieg ist eine Ausnahme der Regel. Er ist eine Anomalie. Wir wollen nicht, dass er stattfindet. Es sollte kein Bedürfnis für einen Kohen, der für den Krieg ernannt wird, geben. Die Verbindung einer Erbschaft mit der Rolle eines Kohen Maschuach Milchama besagt, dass wir den Krieg als Teil der ewigen Kontinuität der jüdischen Existenz betrachten. Dies wollen wir nicht.
Die Mischna (Traktat Schabbat 63a) erklärt: “Ein Mensch darf am Schabbat nicht mit seinem Schwert (in öffentliches Gebiet) hinausgehen. Rabbi Elieser sagt, dass es als Schmuck betrachtet wird (weil ein Krieger oft nur zum Stolz die Waffe trägt, und er deshalb damit in öffentliches Gebiet hinausgehen darf). Die Chachamim (die anderen Weisen) sind mit Rabbi Elieser nicht einig und sagen, dass es kein Schmuck ist, sondern ein ‘Gnai’, etwas Unziemliches ist, wie geschrieben steht: “Und er (Maschiach) wird richten zwischen den Nationen und viele Völker zurechtweisen; da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Speere zu Sicheln machen, denn es wird kein Volk gegen das andere ein Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr die Kriegsführung studieren (Jeschaja 2:4).
Die Chachamim weisen den Gedanken, dass ein Schwert als Schmuckstück betrachtet werden kann, zurück. Eine Waffe soll ein Schmuckstück sein? Dies ist nicht, was wir anstreben! Dies sollte nicht eine Funktion unseres Lebens sein! Es stimmt, dass falls ein Krieg ausbricht, wir kämpfen müssen und in unseren Kämpfen erfolgreich sein müssen. Dies jedoch zu einer permanenten Institution zu machen – und zu sagen, dass die Position des ‘Maschuach Milchama’ zum Sohn und Enkel weitergehen sollte – dies würde eine falsche Botschaft vermitteln. Es würde die Botschaft vermitteln, dass der Krieg ein Teil unseres Lebens sein muss. Dies ist nicht der Fall. Unser Ziel ist es, dass keine Nation ein Schwert gegen eine andere Nation erheben und es kein Studieren von Kriegsführung mehr geben soll!
Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
Rabbi Awraham Jizchak Hakohen Kook (Kuck) (1865- 1935); geb. in Griva (Russland). Er studierte Tora und Talmud in Ludsen, Dünaburg (Lettland) und an der berühmten Jeschiwa von Woloschyn (heute Weissrussland). Kabbala studierte er bei einem der größten Kabbalisten seiner Generation, Rabbi Schlomo Elyashiv, Autor des kabbalistischen Werkes Leschem Shewo Weachlama.
Von 1888 bis 1904 war er Rabbiner in Žeimelis (Litauen), von 1895 bis 1904 übte er das gleiche Amt in der Nachbarstadt Bauska aus. 1904 wanderte er nach Palästina aus. Zuerst amtetet er als Oberrabbiner von Jaffa und Umgebung. 1919 wurde er Oberrabbiner von Jerusalem. Seit 1921 war Rabbi Kook der erster aschkenasischer Oberrabbiner von Palästina.
Als solcher gründete er die Vereinigung der Grossrabbinate von Israel, das Rabbanut, und Israels nationale Rabbinergerichte (Batej Din), die mit der israelischen Regierung zusammenarbeiten und für Rechtsangelegenheiten wie Ehe, Scheidung, Kaschrut und Konversion zuständig sein sollen.
Rabbiner Kook ist Autor eines weitgefächerten Themenkatalogs von Werken über jüdisches Gedankengut und Kabbala. Er gründete die Jeschiwat Merkas HaRaw in Jerusalem.
Rabbi Salman Melzer sagte einmal zu dem berühmten Rabbiner Rabbi Chajim Oser Grodzinsky aus Wilna: „Wir gelten nur bis zu dem Zeitpunkt als Tora-Grössen, bis wir die Tür von Rabbi Kooks Zimmer erreichen.“
Dennoch hatte er in charedischen Kreisen eine Gegnerschaft, weil er, nach ihrer Meinung, zu weit mit den Säkularen zusammenarbeitete und sie verehrte.
Rabbi Mordechai Jehuda Lubert, (gest. 1997); Kutna (Polen) und N.Y. (USA). Verfasser von den Werken Milchamot Jehuda zum Talmud und Chumasch. Berühmter Schüler der Jeschiwat Chachmej Lublin von Rabbi Meir Schapira.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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