Siwan / Paraschat Chukat
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Meinungsverschiedenheiten sind förderlich; aber aufgepasst! Sie können in den Abgrund führen! (Paraschat Korach und Pirkej Awot 5785)

Meinungsverschiedenheiten, mit reiner Absicht, sind erforderlich; aber aufgepasst…

Meinungsverschiedenheiten, mit reiner Absicht, sind erforderlich; aber aufgepasst…
Foto: AI Avigail

Meinungsverschiedenheiten sind förderlich; aber aufgepasst! Sie können in den Abgrund führen!

Rav Frand zu Paraschat Korach und Pirkej Awot 5785

Ergänzungen: S. Weinmann

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Folgende gewichtige Regel lehrt uns die Mischna in Pirkej Awot (Kapitel 5, Mischna 20):

Jeder Meinungsstreit, der um des Himmels willen geführt wird, hat am Ende Bestand; einer, der aber nicht um des Himmels willen geführt wird, hat am Ende keinen Bestand. Welcher ist ein Meinungsstreit, der um des Himmels willen geführt wurde? Dies ist der der Meinungsstreit zwischen Hillel und Schamai. Welcher Meinungsstreit wurde nicht um des Himmels willen geführt? Dies ist der Meinungsstreit des Korach und seiner ganzen Gefolgschaft.

Die Mischna lehrt, dass eine Machloket (Streit) welche in reiner Absicht im Namen G-ttes geführt wird, bleibende Ergebnisse zeitigt („Sofah le’hitkajem“), während eine Streitigkeit, welche nicht in reiner Absicht geführt wird (wo eigene, persönliche Interessen im Spiel stehen), nie positive Ergebnisse liefern („ejn Sofah le’hitkajem“). Das klassische Beispiel für einen Streit zur Ehre G-ttes sind die Diskussionen zwischen Hillel und Schamai. Das Paradebeispiel für einen Streit ohne himmlischen Zweck, ist dasjenige von “Korach und seiner Rotte”

Rav Jerucham Leibowitz fragt: Wie kann es sein, dass wir den Streit von Korach und seinem Anhang die Ehre erweisen, dass wir ihn im selben Atemzug nennen wie die Diskussionen von Hillel und Schamai? Würden wir die Diskussionen von Hillel und Schamai mit den Streitereien zwischen den Fussballspielern des FC Zürich und des FC Basel vergleichen? Ist es überhaupt angebracht, die feinen Unterschiede bei der Auslegung der Torah den Hahnenkämpfen irgendwelcher egozentrischer Grossmäuler gegenüberzustellen. Wieso werden Korach und sein Anhang derart ernst genommen, dass sie in der gleichen Mischna wie Hillel und Schamai genannt werden?

Von der Tatsache, dass alle in der gleichen Mischna erwähnt werden, lernt Rav Jerucham Folgendes: Wir müssen uns hüten, Korach und seine Anhänger auf die gleiche Stufe wie die Fussballer des FC Zürich und FC Basel zu stellen. Der Streit von Korach und seinen Anhängern war der Machloket von Hillel und Schamai im Grunde sehr ähnlich. Ihr Streit besass alle Eigenheiten eine Auseinandersetzung in reiner Absicht. Er hatte die vornehmsten Gründe.

Korach und seine Anhänger argumentierten, dass sie mit ihrer geistigen Lebensstellung unzufrieden waren. „Wir wollen mehr Keduscha (persönliche Heiligkeit); wir wollen eine nähere Beziehung zum Allmächtigen; wir wollen so nah sein, wie der Hohepriester beim G’ttesdienst.“ Hillel und Schamai hatten berechtigte und hitzige Auseinandersetzungen um die vornehmsten Dinge im Leben. So war auch die Natur des Streits von Korach und seinen Anhängern – zumindest am Anfang.

Aber dann wurde ihre Diskussion mit eigennützigen Motiven von persönlicher Ehre und Grösse verdorben, womit sie in die Kategorie einer Machloket (Streit), welche in unreiner Absicht geführt wird, absanken. Die beiden Fälle unserer Mischna begannen als gleichgeartete Diskussionen. Korach und seine Anhänger schafften es jedoch nicht haltzumachen, als die Machloket eigennützig wurde.

Hillel und Schamai gelang es, die Auseinandersetzung auf einer uneigennützigen Ebene zu halten. Sie wurde nie ein Gegenstand von „ich habe recht“ und „du liegst falsch“. Sie wurde nie eine Angelegenheit von „Ich will an die Spitze kommen, weil ich gewinnen will.“ Es war ausschliesslich eine Diskussion in reiner Absicht. Der Talmud lehrt, dass Bejt Hillel (die Schule von Hillel) immer die Meinung von Bejt Schamai (die Schule von Schamai) vor ihrer eigenen zitierte, wenn es um die Darlegung der beiden Standpunkte ging. Ihre Absicht war, zur Wahrheit vorzudringen und nicht Sieger zu sein.

Korach und seine Anhänger fingen ebenfalls mit den Vornehmsten aller Beweggründe an. Wenn sich ein Mensch jedoch in Beweggründen verfängt, die nicht rein sind, können Diskussionen zu den schlimmsten Handlungen führen und zerrüttend sein.

Rav Jerucham sagt, dass es manchmal eine Mizwa (Gebot) ist, sich auf eine Streitigkeit einzulassen. Es gibt Zeiten, wo man für die Wahrheit auf die Barrikaden steigen muss. Diese „Mizwa“ ist jedoch eine Ausnahme von der Regel. Üblicherweise sollte ein Mensch Torah und Mizwot ausüben, auch wenn es nicht mit reinen Hintergedanken geschieht, weil dies ihn schlussendlich dazu bringt, diese Mizwa in reiner Absicht auszuüben [Sanhedrin 105b]. Mit anderen Worten: Es ist sicher nicht das beste Verhalten eines Menschen, einen grossen Geldbetrag für die besten Tefillin oder den schönsten Etrog auszugeben, nur damit die anderen das wunderbare Paar Tefillin oder den prächtigen Etrog bewundern. Trotzdem sagen wir ihm: „Tu’ es nur; kauf das beste Paar Tefillin und den schönsten Etrog.“ Am Ende wird er dazu kommen, den wahren Wert der Mizwot von Tefillin und Etrog wahrzunehmen. In der Zwischenzeit erfüllt er diese Mizvot in einer gebührlichen Art und Weise.

Rav Jerucham sagt, dass es jedoch in der Torah eine Mizwa gibt, welche ein Mensch entweder 100% Lischma (in reiner Absicht) tun oder es eben lieber lassen soll. Das ist die Mizwa, eine Machloket (Streit, wenn nötig) auszutragen. Die Lehre von der Anhängerschaft Korachs ist, dass ein Streit zu 100% in reiner Absicht zu erfolgen hat. So hat es am Anfang, in der Mitte und am Ende zu sein. Sonst ist es verwerflich!

Bei uns gibt es sehr wenige, die sagen können: „MEINE Machloket ist eine Auseinandersetzung, die zu 100% in reiner Absicht erfolgt.“ Hillel und Schamai konnten das tun; die meisten von uns jedoch nicht. Das ist der Grund, weshalb die Mischna in Awot die Machloket von Hillel und Schamai im gleichen Atemzug, wie diejenige von Korach und seinem Anhang nennt. Sie waren sich im Grunde sehr ähnlich, aber leider nur am Anfang.

Quellen und Persönlichkeiten:

Hillel und Schamai (lebten ca. 40 Jahre vor Beginn der gewöhnlichen Zeitrechnung): Gerichtsvorsitzende und Führer des jüdischen Volkes. Frühe Mischnalehrer, die an der Spitze von Torah-Akademien standen und mit ihren zahlreichen Diskussionen die jüdische Gesetzeslehre wesentlich beeinflussten

Rabbi Jerucham Halevi Leibowitz (Levovitz) (1874 – 1936): Einflussreicher Denker, Maschgiach (Leiter und geistiger Ratgeber) der Jeschiwa in Mir, Litauen. Verfasser vieler Werke, u.a. Da’at Chochma uMussar und Da’at Tora zum Chumasch.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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