Siwan / Paraschat Pinchas
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Geschichte mit Rabbi Chajim von Woloschin und dem Spesenkonto des Meschulach (Paraschat Wajakhel 5784)

Ungewöhnliche Gesichtspunkte zum Thema "Spenden"

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Wochenabschnitt Paraschat Wajakhel: Geschichte mit Rabbi Chajim von Woloschin und dem Spesenkonto des Meschulach

Rav Frand zu Paraschat Wajakhel 5784

Ergänzungen: S. Weinmann

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Diese Woche wollen wir einen Einblick in zwei Pessukim (Verse) in Paraschat Wajakhel gewinnen – einen mit der Geschichte einer Tora-Persönlichkeit, die ihren Nachhall bei der litauischen Welt findet, und einen mit einer Tora-Persönlichkeit, die bei den Chassidim Nachhall findet.

In Paraschat Wajakhel spricht Mosche zu den Kindern Jisraels und sagt: “Seht der Ewige hat mit Namen berufen Bezalel, den Sohn von Uri, des Sohnes von Chur, aus dem Stamm Jehuda. Und Er hat ihn mit “G”ttlichem Geiste” erfüllt, mit Weisheit und Einsicht, mit Wissen und allerlei Fertigkeiten, Kunstwerke zu ersinnen (welachoschow Machaschawot)”, in Gold, Silber und Kupfer zu arbeiten. Auch in Schneiden und Einsetzen der Steine und im Holzschnitt, und so in allen Arten von Kunstwerken zu arbeiten. (Schemot 35:30-33).

Wir werden den Ausdruck “welachoschow Machaschawot” mit einer berühmten Geschichte über Rabbi Chajim von Woloschin, dem überragenden Schüler des Wilnaer Gaons und Gründer und ersten Leiter der Jeschiwa in Woloschin, Litauen, erklären. Die “Woloschiner Jeschiwa” wurde anfangs 1800 gegründet und war die erste “moderne” Jeschiwa, die von vielen anderen solchen Schulen nachgeahmt wurde.

Ausser der Tatsache, dass sie in Bezug auf den erzieherischen Lehrplan die “Mutter Jeschiwa” war, führte die “Woloschiner Jeschiwa” auch viele andere Bräuche ein, die von späteren Jeschiwot angenommen wurden, darunter das Anstellen von “Meschulachim” (bezahlte Geldbeschaffer, die von einer Institution in entfernte Gemeinden entsandt wurden, um Gelder für die Jeschiwa zu sammeln).

Die “Woloschiner Jeschiwa” hatte einige solche Zedaka-Sammler, die in verschiedenen Teilen Osteuropas von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf reisten. Einer von ihnen kam zum Leiter der Jeschiwa, Rabbi Chajim, und sagte ihm, dass es im System Schwachstellen gebe. In jenen Tagen reiste ein Meschulach mit einem Kutscher herum, was heute vielleicht einem Taxidienst entsprechen würde. Der Meschulach beklagte sich, dass er seine Zeit und die Zeit der Jeschiwa mit der Ineffizienz dieses Systems vergeude. Erstens war es nicht leicht, Kutscher zu finden, und dann machten die Kutscher viele Stationen für viele Passagiere. Das System war einfach nicht effizient. Er argumentierte, dass falls er seinen eigenen Pferdewagen hätte, er viel Zeit gewinnen könnte und für die Jeschiwa viel erfolgreicher sein könnte. Ausserdem fügte er hinzu, dass er, wenn er schäbig gekleidet zu Spendern komme, keinen guten Eindruck mache. Er meinte, dass falls die Jeschiwa es sich leisten könne, ihm einen angemessenen Anzug und Mantel zu kaufen, als eine Art von Uniform, um darauf hinzuweisen, dass er eine erstklassige Institution vertrete, sein Erfolg eindrücklicher sein würde.

Rabbi Chajim Woloschiner zeigte sich gegenüber den Argumenten des Meschulachs mitfühlend. Er verstand, dass man “Geld ausgeben muss, um Geld zu beschaffen”, und genehmigte den Kauf eines Pferdes und Wagens, wie auch gediegene Kleidung für den Geldbeschaffer der Jeschiwa.

Rabbi Chajim pflegte die Quittungen jeder Stadt, in die er seine Meschulachim sandte, zu überprüfen. Es gab einen Juden in einer gewissen Stadt, der immer einen grosszügigen Betrag für die Jeschiwa zu spenden pflegte. Er war kein reicher Mann, sondern eher ein einfacher Dorfbewohner, der trotzdem jedes Jahr eine beträchtliche Spende zu geben pflegte, viel mehr als seine Mittel es ihm erlaubten. Rabbi Chajim bemerkte, dass dieser Mann beim nächsten Besuch dieses Meschulachs in seinem Dorf der Jeschiwa keine Spende gab. Rabbi Chajim erkundigte sich, warum dies geschehen war. Der Meschulach sagte ihm: “Ich weiss es nicht. Ich kam zu ihm wie gewohnt und erwartete einen warmen Empfang und wie gewohnt eine beträchtliche Spende, aber er zeigte mir die kalte Schulter und gab mir keine Spende. Ich weiss nicht warum!”

Rabbi Chajim war verblüfft. Er sagte zu seinem Meschulach: “Lass uns beide zusammen zu diesem Mann reisen um ihn um eine Spende zu bitten.” Sie fuhren beide zu ihm und klopften an seine Tür. Der Mann war gänzlich erstaunt, dass der grösste Rabbiner der Generation, der berühmte Schüler des Gaon von Wilna, vor ihm stand! Er lud sie ein, und nach den anfänglichen freundlichen Begrüssungen und Erfrischungen sprach ihn Rabbi Chajim wegen dem Grund seines Besuchs an: “Was ist geschehen? All diese Jahre haben Sie uns eine solch schöne Spende gegeben, und dieses Jahr haben Sie uns gänzlich abgeschrieben?”

Der einfache Jude reagierte mit den folgenden Worten: “Jedes Jahr opferte ich mich und gab meinen Beitrag. Ich dachte mir; ‘Ich gebe dies der Woloschiner Jeschiwa, der hervorragendsten Tora-Institution in der gesamten Region, damit junge Männer Tora lernen und sich zu grossen jüdischen Führern entwickeln können. Als ich jedoch Ihren gut gekleideten Meschulach mit seiner eigenen Kutsche und seinem eigenen Pferd sah, fragte ich mich: Ist es dies, wofür ich mein Geld gebe – für ein Pferd und einen Wagen und Pracht? Ich wollte, dass mein Geld für das Lernen von Tora geht, nicht für die Transportkosten und eine Uniform!”

Rabbi Chajim von Woloschin sagte ihm: “Ich möchte Ihnen die Angelegenheit mit einem Passuk im Chumasch erklären. Nachdem die Tora uns sagt ‘Und der Ewige erfüllte Bezalel mit G-ttlichem Geist’, was will die Tora uns sagen, wenn sie die Tatsache hinzufügt, dass er jemand ist, der “lachaschow Machaschawot” (‘Kunstwerke zu ersinnen’, wörtlich aber ‘Gedanken denken’) kann, was mit dem Gold, Silber und Kupfer zu tun?

Rabbi Chajim erklärte, dass Bezalel eine spezielle Form des Ruach Hakodesch (G”ttlichen Geistes) erhielt. Es gab Gold, das für Gegenstände im Mischkan verwendet wurde, die am Höhepunkt der Heiligkeit standen – der Aron (Bundeslade), die Menora (Leuchter), der Schulchan (Schaubrote-Tisch) und der Misbeach Haketoret (Altar des Räucherwerks). Es gab auch Gold, das im Mischkan für Dinge verwendet wurde, die nicht so heilig waren, zum Beispiel der Anstrich der Bretter, Säulen und Tragstangen. Bezalel hatte den G”ttlichen Geist, um zu wissen, dass wenn ein Mensch Gold nur ‘leschem Schamajim’ mit einer sehr geistigen Absicht gab, dieses Gold für die heiligsten Geräte verwendet wurde. Wenn ein Mensch Gold mit anderweitigen Motiven gab, wusste Bezalel, dass er dieses Gold für die Bretter und Tragstangen, die weniger “heiligen” Geräte im Mischkan bestimmen konnte. Das gleiche war bei den anderen Spenden von Silber, Kupfer, Wolle, Leinen, Ziegenhaare, etc.

Dies ist die Interpretation des Passuks: Bezalel betrachtete die wertvollen Metalle, die gespendet wurden, und wusste, warum sie gegeben wurden, und wusste deshalb, was mit ihnen zu tun. Dasselbe gilt für Spenden an unsere Jeschiwa. Es gibt Leute, die Geld nur dafür spenden, dass junge Männer Tora lernen können; sie sind nicht interessiert an irgendwelchen Annehmlichkeiten oder Schnickschnack. Gewisse Leute jedoch können sich nicht auf das Hauptziel einer Jeschiwa konzentrieren, wenn sie einen Vertreter der Jeschiwa sehen, der schäbig gekleidet ist und keine angemessene Möglichkeit des Transports hat: das wird sie abstossen. Es ist diese untere Kategorie von Spendern, für die ich meine Meschulachim anständig einkleiden und ihnen ihre eigene Kutsche und ihr eigenes Pferd geben musste. Sie können versichert sein, dass ich die heilige Absicht kenne, mit dem Sie Ihre Spende geben. Ihr Geld geht nur zur Unterstützung des Toralernens unserer Talmidim. Es ist das Geld anderer Leute, die sich auf materielle Angelegenheiten konzentrieren, das zum Kauf des Pferdes und der Kutsche und der Kleidung meines Meschulachs geht.

2. Geschichte – über Rabbi Suscha – seiner Rebbezen, die Schneiderin und das Hochzeitskleid

Bei der Beschreibung der Geschichte über den Bau des Mischkans sagt die Tora: “Mosche berief Bezalel, Oholiaw und alle Kunstverständigen… jeden, den sein Herz dazu bewog, sich an die Arbeit zu machen, um sie auszuführen. Sie empfingen von Mosche die ganze Spende, die die Benej Jisrael zur Verfertigung der Arbeiten des Heiligtums, die sie erfüllen sollten, gebracht hatten; sie brachten ihm aber jeden Morgen noch zusätzliche freiwillige Spenden” (Schemot 36:2-3).

Rabbi Schlomo Kluger in einem seiner Werke fragt, was bedeutet: Sie brachten ihm aber jeden Morgen noch zusätzliche freiwillige Spenden”, wer brachte? Er erklärt, dass sich dies auf Bezalel, Oholiaw und alle Kunstverständigen bezieht. Die Frage stellt sich, warum die Tora die Tatsache hervorhebt, dass die Leute, die in der Arbeit involviert waren, zusätzlich zu den Spenden der Benej Jisrael, auch spendeten. Die Tora könnte doch einfach erklären, dass das ganze Volk spendete (was in Wirklichkeit geschah), und wir würden dann wissen, dass diejenigen, die die Arbeit ausführten, auch eingeschlossen waren.

Er erklärt die Angelegenheit mit einer Geschichte.

Die Tochter von Rebbe Reb Suscha war verlobt. Die Frau des Rebben, die Mutter der Kalla, ging zur Schneiderin, um für ihre Tochter ein wunderschönes Kleid zu bestellen. Vier oder fünf Wochen später ging sie zurück zur Schneiderin, um das Kleid für die Kalla abzuholen. Sie kehrte jedoch ohne das Kleid zurück. Der Rebbe fragte, was geschehen war. Sie erzählte ihm, dass sie das Kleid in Wirklichkeit abgeholt hatte, dass sie jedoch, als sie den Laden verliess, bemerkte, dass die Schneiderin weinte.

Die Rebbezen kehrte zurück und fragte sie, warum sie weine, und die Schneiderin erzählte ihr: “Es ist, weil ich auch eine Tochter habe, die eine Kalla ist. Ich wünschte mir, dass ich mir solch ein Kleid für meine eigene Tochter leisten könnte!” Die Rebbezen erklärte ihrem Mann: “Ich sagte ihr auf der Stelle – Behalte das Kleid!” Reb Suscha war hocherfreut, dass seine Rebbezen die Mizwa von Hachnassat Kalla in solch nobler Art erfüllt hatte. Dann fragte er jedoch seine Frau: “Hast du ihr für das Kleid bezahlt?” Reb Suschas Frau reagierte ungläubig auf die Frage: “Was meinst du damit, ob ich ihr für das Kleid bezahlt habe? Ich habe ihr das Kleid geschenkt! Muss ich ihr noch dazu für das Kleid bezahlen?”

“Natürlich musst du das” sagte Reb Suscha zu seiner Frau. “Schliesslich arbeitete sie fünf Wochen für dich, also musst du ihr für das Kleid bezahlen.” Die Rebbezen sagte ihrem Mann, dass er Recht hätte, sie kehrte zur Schneiderin zurück und bezahlte ihr für das Kleid, das sie ihr gerade “gegeben” hatte. Rabbi Schlomo Kluger erklärte mit diesem Vorfall unseren Passuk in Wajakhel. Es gab manche Leute, die gerade Geld gespendet hatten. Aber es gab auch Leute, die für das Mischkan arbeiteten. Gaben sie Geld? Sie hätten einfach argumentieren können: “Wir arbeiten, anstatt Geld zu spenden. Unser Beitrag für das Mischkan ist unsere Anstrengung und unsere Mühe!” Aus diesem Grund betont der Passuk, dass Spenden nicht nur von den Massen der Benej Jisrael erhalten wurden, sondern auch von denjenigen, die die Arbeit ausführten.

Quellen und Persönlichkeiten:

Rabbi Meschullam Sussja (Suscha) von Anipoli (Hanipol), Polen, heute Ukraine; (1718 – 1800), ein Bruder von Rabbi Elimelech von Lyschansk, war ein chassidischer Rebbe und Zaddik und einer der Begründer des Chassidismus in Polen.

Rabbi Chajim ben Jizchak von Woloschin (1749-1821); Woloschin; Litauen (heute Weissrussland). Rabbi Chajim studierte zuerst bei Rabbi Arjeh Löb Ginzberg, dem Rabbiner von Woloschin, dann bei Rabbi Raphael haKohen, dem späteren Rabbiner von Hamburg. Im Alter von fünfundzwanzig Jahren wurde er Schüler des Gaon von Wilna. Er wurde dann der berühmteste Schüler des Wilnaer Gaon. Nach den Methoden seines Lehrers gründete er 1803 die Jeschiwa in Woloschin, welche eine der bedeutendsten des 19. Jahrhunderts wurde. Er begann mit zehn Schülern, jungen Woloschinern. Als der Ruf der Schule sich verbreitete, stieg die Zahl der Schüler an und die Zahl betrug schliesslich über hundert. Sein Hauptwerk ist die ethisch-kabbalistische Schrift Nefesch Hachajim. Weiteres Werk Ruach Chajim, Kommentar zu Pirkej Awot. Die meisten seiner Werke wurden – noch als Manuskripte – 1815 durch einen Brand vernichtet.

Rabbi Schlomo ben Jehuda Aharon Kluger (1785 – 1869) bekannt als der Maggid von Brody (Galizien). Er war dort rund 50 Jahre Rosch Bejt Din (Oberdajan) und Maggid (Prediger). Er war vorhin Rabbiner in Rava-Ruska und  Kulikow (Galizien), dann in Józefów (Polen) und Brezany (Galizien). Als einer der führenden rabbinischen Autoritäten seiner Zeit erliess Rabbi Kluger Urteile zu vielen komplexen halachischen Fragen. Es wird ihm etwas Unglaubliches nachgesagt, nämlich dass er 365 Werke über alle Zweige, die es in der rabbinischen Literatur gibt, in seinem Leben geschrieben hat. Rund hundert Werke wurden bereits veröffentlicht und laufend werden weitere Manuskripte gefunden und veröffentlicht.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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