Wochenabschnitt Paraschat Nasso: Erfolg in der Erziehung: Tue mehr als der Buchstabe des Gesetzes es verlangt
Rav Frand zu Paraschat Nasso 5785
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Die Haftara zu Paraschat Nasso erzählt die berühmte Geschichte von der Geburt des „Schimschon Hagibor“ (Samson, der Held). In diesem Bericht gibt es eine Schwierigkeit, die alle Kommentatoren beschäftigt. In Schoftim/Richter [13:1-14] steht folgendes:
“Und die Kinder Israels taten das Böse in den Augen des Ewigen; der Ewige übergab sie 40 Jahre lang in die Hände der Philister. Es war ein Mann von Zor’ah vom Stamm Dan, er hiess Manoach und seine Frau war unfruchtbar und gebar kein Kind. Da erschien der Frau ein Mal’ach (Engel) von Haschem und sprach zu ihr: Siehe, du bist unfruchtbar und gebierst nicht; du wirst aber schwanger werden und einen Sohn gebären. So hüte dich nun, dass du weder Traubenmost noch Wein trinkst und nichts Unreines (weder geistig unreine Speisen noch Speisen, die einem Nasir verboten sind) essest. Denn du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem kein Schermesser aufs Haupt kommen darf, den ein Nasir (Nasiräer, Geweihter), G-ttes wird der Knabe vom Mutterleibe an sein; und er wird anfangen, Israel aus der Hand der Philister zu erlösen.
Da kam die Frau und sagte es ihrem Mann wie folgt: Es kam ein Mann G-ttes zu mir, und seine Gestalt war wie ein Engel G-ttes, gar fürchterlich, dass ich ihn nicht fragte, woher er sei; und er sagte mir auch nicht, wie er hiesse. Er sprach aber zu mir: Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, so trinke nun weder Traubenmost noch Wein und iss nichts Unreines; denn der Knabe soll ein Nasir (Geweihter) G-ttes sein von Mutterleibe an bis an seinen Tod.
Da bat Manoach den Ewigen und sprach: Ich bitte Dich, mein Herr, lass den Mann G-ttes wieder zu uns kommen, den du gesandt hast, dass er uns lehre, was wir mit dem Knaben tun sollen, der geboren wird. Und G-tt erhörte die Stimme Manoachs; und der Engel Gottes kam wieder zur Frau, als sie auf dem Felde sass, und ihr Mann Manoach war nicht bei ihr. Da lief sie eilend und erzählte es ihrem Mann und sprach zu ihm: Siehe, der Mann ist mir erschienen, der jenes Tages zu mir kam. Manoach machte sich auf und ging seiner Frau nach und kam zu dem Mann und sprach zu ihm: Bist du der Mann, der mit der Frau geredet hat? Er sprach: Ja, das bin ich.
Und Manoach sprach: Wenn nun kommen wird, was du gesprochen hast, wie sollen die Regeln für den Knaben und sein Verhalten sein? Der Engel des Ewigen sprach zu Manoach: Vor allem, was ich der Frau gesagt habe, soll sie sich hüten. Sie soll nicht essen, was aus dem Weinstock kommt, und soll keinen Traubenmost oder Wein trinken und nichts Unreines essen; alles, was ich ihr geboten habe, soll sie halten. ”
Also, der Engel verkündete der kinderlosen Frau von Manoach, dass sie ein Kind haben werde und wies sie an, sich von Wein zu enthalten und nicht mit Tumah (ritueller Unreinheit) in Kontakt zu kommen. Der Engel ordnete zudem an, dass dieses Kind nach der Geburt ein Nasir sein solle. Kein Schermesser dürfe je auf sein Haupt kommen. Der Engel verkündete Manoachs Frau, dass dieses Kind zum Retter Israels heranwachsen werde. Nach der Bekanntgabe dieser Informationen und Anweisungen verliess der Engel die Frau.
Manoachs Frau erzählte diese Begebenheit ihrem Mann. Daraufhin betete Manoach zu G’tt, er möge die Möglichkeit erhalten, den Engel direkt zu vernehmen: „Bitte, Mein Herr, möge der Mann G’ttes, den Du gesandt hast, noch einmal zu uns kommen und uns lehren, was wir mit dem Knaben, der uns geboren wird, tun sollen.“
G’tt erhörte Manoachs Bitte und schickte den Engel zurück. Manoach fragte ihn: „Wie sollen die Regeln für den Knaben und sein Verhalten sein?“ Der Engel antwortete: „Vor allem, was ich der Frau gesagt habe, soll sie sich hüten. Von allem, was vom Weinstock stammt, soll sie nicht essen. Traubenmost und Wein soll sie nicht trinken. Keinerlei Unreines soll sie essen. Alles, was ich ihr befohlen habe, soll sie beobachten.“ [Schoftim 13:1-14]
Dies ist eigentlich eine wortwörtliche Wiederholung dessen, was der Engel Manoachs Frau bereits mitgeteilt hatte. Die Koimmentatoren stellen zwei Fragen. Erstens: Der Engel gab auf Manoachs Frage keine Antwort. Manoach stellte eine Frage zu den „Regeln für den Knaben und seinem Verhalten“. Der Engel sprach über die Regeln und zum Verhalten von Manoachs Frau! Zweitens: Welche neue Information überbrachte der Engel Manoach, welche der Engel nicht schon Manoachs Frau übermittelt hatte? Es scheint sich um völlig überflüssige Angaben zu handeln, die Manoach bereits bekannt waren!
Rav Elja Me’ir Bloch gibt eine wunderschöne Erklärung. Zwischen dem, was der Engel beim ersten Mal und dem, was der Engel beim zweiten Mal sagte, gibt es einen kleinen Unterschied: Beim ersten Mal gebot der Engel, sie dürfe keinen Traubenmost und keinen berauschenden Wein zu sich nehmen. Beim zweiten Mal sagte der Engel: „Von allem, was vom Weinstock stammt, soll sie nicht essen.“ Dies schliesst Trauben, Lutscher mit Traubengeschmack und alles, was weitläufig mit Trauben zu tun hat, ein. „Und zusätzlich“, fügte er hinzu, „trinke keinen Traubenmost und keinen berauschenden Wein.“
Dies, sagt Rav Elja Me’ir Bloch, war die Antwort auf Manoachs Frage. Manoachs Frage war, wie man ein Kind grosszieht, welches zum Retter Israels heranwachsen sollte. Irgendein Kind zu erziehen ist schon schwierig genug. Die Herausforderungen, ein Kind, welches als „Nasir vom Mutterleibe an“ bezeichnet wird, grosszuziehen sind jedoch ungemein schwerer. Manoach wollte wissen: „Wie erziehe ich so ein Kind? Welche Methoden der Kindererziehung soll ich anwenden, um seine geistige Reinheit zu erhalten und den Erfolg seiner g’ttlichen Aufgabe sicherzustellen?“
Der Engel antwortete, dass Gewissenhaftigkeit und Eifer beim Aufstellen von Schranken („Har-chakot“), welche über den Buchstaben des Gesetzes („lifnim me’Schurat haDin“) hinausgehen, den Weg zur erfolgreichen Erziehung des „Nasirs vom Mutterleibe an“ weisen. Zum Geheimnis, wie der künftige Führer der jüdischen Nation grossgezogen wird, gehört es, den zusätzlichen Schritt zu machen und sich noch etwas mehr zu bemühen. Deine Frau soll sich nicht bloss vom Weingenuss enthalten, der Grunderfordernis für einen Nasir, sie soll Trauben nicht einmal nahekommen! Falls sie diese Anweisungen gewissenhaft befolgt, so werden sie ihren Eindruck auf das Kind nicht verfehlen.
Der Weg, einem Kind G’ttesfurcht zu vermitteln, ist, das Kind die G’ttesfurcht in seinen Eltern erkennen zu lassen. Ich glaube, es war Rabbi Ja’akov Kamenetzky (oder möglicherweise auch andere), welcher auf den Unterschied zwischen europäischen Juden und amerikanischen Juden hinwies. Er sagt, es gab (und gibt) in Europa und Amerika Juden, welche den Schabbat halten. Der Unterschied war jedoch, dass es in Europa Juden gab, welche auch den Erev Schabbat, den Vorabend des Schabbats, einhielten. Mit anderen Worten: Diese Juden hielten sich bereits ab Freitagmittag von allen (am Schabbat) verbotenen Tätigkeiten zurück. Dieses Bild eines „Erev Schabbat-Juden“ war eine europäische Erscheinung, welche in Amerika nicht beobachtet werden konnte.
In Amerika kann es vorkommen, dass der Ehemann, wenn der Zeitpunkt für das Kerzenzünden Freitagnachmittag um 16.18 eintritt, um 16.12 nach Hause kommt. Die Zeit reicht gerade, um seine Brieftasche, seinen Schlüssel und seinen Geldbeutel abzulegen. Er sagt „Gut Schabbes“ und der Schabbat beginnt. Dies ist nicht „verboten“. Dieser Mensch befolgt den Schabbat unbestrittenermassen. Der Einfluss eines „europäischen Schabbat“ im Vergleich zum „amerikanischen Schabbat“ auf empfindsame kleine Kinder lässt sich jedoch überhaupt nicht vergleichen.
Dies war die Lehre, welche der Engel Manoach vermittelte. Es gibt Eltern, die ihre Kinder dazu anleiten, sich sogar von Dingen fernzuhalten, die eigentlich erlaubt sind. Das Kind erkennt dabei die G’ttesfurcht seiner Eltern und wird davon so stark beeinflusst, dass es möglicherweise fähig ist, zum Retter Israels heranzuwachsen. Wenn Eltern den einfachsten Weg suchen und nur gerade „den Buchstaben des Gesetzes“ einhalten, werden die Lehren und Wertmassstäbe, welche sie dem Kind angeblich weitergeben wollen, niemals die gleich hohe Wertschätzung erhalten.
Quellen und Persönlichkeiten:
Rav Elja Me‘ir Bloch (1894 – 1955); Rosch Jeschiwa in Tels (Litauen), und Gründer und Rosch Jeschiwa der Telser Jeschiwa in Cleveland, Ohio (USA). Seine Schüler fassten im Werk Peninej Da’at Gedanken von ihm zum Pentateuch und Mischlej (Sprüche) zusammen.
Rabbi Ja’akov Kamenetzky (1891-1986); Minsk, Slobodka, Seattle, Toronto und New York. War Rabbiner, Rosch Jeschiwa, Possek und grosser Talmudgelehrter. Rosch Jeschiwa von Tora We’Daat, Brooklyn. Zusammen mit Rabbi Mosche Feinstein leitete er das amerikanische Judentum in Fragen der Halacha und in spiritueller Führung bis 1986, als beide Grössen diese Welt verliessen. Verfasser von verschieden Werken, wie Emet leJa’akov zum Schulchan Aruch und Erklärungen zum Chumasch.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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