Wochenabschnitt Paraschat Nizawim: Die Notwendigkeit, vor dem Götzendienst gewarnt zu werden
Rav Frand zu Paraschat Nizawim – Wajelech5784
Ergänzungen: S. Weinmann
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In Mosches letzter Ermahnung ans jüdische Volk erinnert er sie an ihre Vertrautheit mit der Abscheulichkeit der Awoda Sara (Götzendienst). “Ihr wisst ja, wie wir im Land Ägypten gewohnt haben und wie wir mitten durch die Völker gezogen sind, durch die ihr gezogen seid. Ihr habt ihre Greuel und ihre Götzen (‘Gilulejhem’) aus Holz und Stein, aus Silber und Gold gesehen, die sich bei ihnen befinden. Es könnte nun einer unter euch sein, ein Mann oder eine Frau oder eine Familie oder ein Stamm, dessen Herz sich heute vom Ewigen, unserem G”tt, abwendet, und der hingeht und den Göttern jener Völker dient, es könnte unter euch eine Wurzel sein, die Gift und Wermut hervorbringt. Er könnte, wenn er diese Fluchworte (die 98 Verwünschungen in Paraschat Ki Tawo) hört, sich in seinem Herzen mit Frieden segnen und sagen: Es wird mir wohlergehen, wenn ich nach der Willkür meines Herzens gehe (tue, was mein Herz begehrt, diese Flüche werden mir nichts antun)… Der Ewige wird nicht bereit sein, ihm zu verzeihen, sondern der Zorn des Ewigen und sein Eifer wird dann gegen den Mann auflodern, und all die Fluchworte, die in diesem Buch geschrieben stehen, werden auf ihm ruhen, und der Ewige wird seinen Namen auslöschen, so weit der Himmel reicht…” (Dewarim 29:15-19).
Es steht hier etwas, das schwer verständlich ist. Mosche beschreibt den gänzlich abscheulichen Charakter des Götzendienstes. Der Ausdruck, den er verwendet, ist ‘Gilulejhem’, der mit dem Wort Galal, das Fäkalien bedeutet, verwandt ist. Man muss sich fragen, warum, wenn die Awoda Sara wirklich so abstossend ist, es für Mosche nötig war, so viel Zeit und Worte zu verwenden, um die Juden davor zu warnen. Wäre es nicht anzunehmen, dass sie angesichts des widerwärtigen Charakters der Awoda Sara vor ihr zurückweichen würden? Warum sollten sie in Versuchung kommen, ihr zu dienen?
Rabbi Dr. Abraham Twerski wirft diese Frage auf und gibt eine interessante Erklärung für dieses Phänomen. Ich habe über dieses Thema eine ein wenig andere Meinung, aber sein Kommentar ist doch lehrreich.
Er schreibt, dass ein gewisses Fernsehnetz einst einen zweistündigen Dokumentarfilm über die Übel der Kokainsucht brachte und wie Kokain solch eine mächtige suchterzeugende Substanz ist, dass wenn ein Mensch in eine Kokainsucht verstrickt wird, diese buchstäblich sein Leben zerstört. Solch ein Mensch wird so von seiner Gewohnheit getrieben sein, dass nichts anderes in der Welt für ihn mehr wichtig ist – nicht seine Frau, nicht seine Kinder, nicht seine Arbeit, nicht seine Karriere. Nichts. Das Einzige, was für ihn noch wichtig ist, ist, seinen “Fix” zu erhalten.
Forscher fanden heraus, dass die Teenager und junge Erwachsene, die diesen Dokumentarfilm sahen, eher dazu neigten, in eine Kokainsucht zu verfallen, als jemand, der das Programm nicht sah. Wie kann dies sein? Sie sahen während zwei Stunden klar vor sich, was geschehen würde, falls sie Kokain einnehmen würden; trotz der fürchterlichen Auswirkungen wandten sie sich dem Kokain zu. Es macht doch keinen Sinn!
Seine Einstellung dazu war, dass wenn man Menschen das Vergnügen einer Sache und dann den Schmerz zeigt, der darauf folgt, die Botschaft des Vergnügens die Botschaft des Schmerzes überwältigt. Der Kerngedanke des Dokumentarfilms war: “Dieses Zeug muss wirklich grossartig sein, wenn man sieht, was die Leute bereit sind, dafür zu opfern.”
Ich zögere sehr, mit jemandem wie Rabbi Dr. Twersky über menschliche Psychologie zu argumentieren, aber ich habe eine andere Ansicht über die Resultate dieser Forschung. In meiner bescheidenen Meinung glaube ich, dass die Lektion, die gelernt werden sollte, die folgende ist: Wenn man sieht, wie jemand etwas tut, das für den Zuschauer ursprünglich indiskutabel war, so wird die Angelegenheit für ihn irgendwie weniger “scheusslich”, und die Chance wird jetzt grösser, dass er es selbst ausprobiert.
Dies ist der Grund, dass es Juden in Erez Jisrael gibt, die, wenn sie eine Verletzung des Schabbat sehen (zum Beispiel Autos, die von nichtreligiösen Israelis am Schabbat gefahren werden) “Schabbes, Schabbes” vor sich hinsagen. Ich habe dies selbst gesehen. Niemand hört sie, sicher nicht die Autos, die vorbeifahren. Warum tun sie dies? Die Antwort ist, dass sie es tun, um sich selbst vor einem Chillul Schabbat (Entweihung des Schabbats) zu hüten. Sie wollen nicht die Empörung und den Schrecken verlieren, wenn sie sehen, dass der Schabbat entweiht wird, damit die Möglichkeit einer Verletzung des Schabbats in ihrem geistigen Denkprozess nicht greifbarer und realistischer wird.
Dies ist ähnlich zu dem, was Chasal (unsere Weisen) uns sagen, dass wenn man eine verdächtige Ehebrecherin (Sota) in ihrer Scham sieht (siehe Bamidbar 5:11-31), man ein Gelübde machen solle, sich des Weines zu enthalten (der zu einer Lockerung seiner moralischen Hemmungen führen könnte). Man könnte sich fragen: “Nur das Sehen der Peinlichkeit der Sota sollte doch ausreichend sein, um solch ein loses Verhalten zu entmutigen?”. Warum benötigt man ein Gelübde? Die Antwort ist: Man benötigt das Gelübde! Die intellektuelle Erkenntnis der Verachtungswürdigkeit des Verhaltens allein wird ihn nicht davon abhalten.
Ob man Dr. Twersky Erklärung annimmt, oder meine Erklärung vorzieht, oder ob man eine eigene andere Erklärung dazu hat, kann man eines klar folgern, dass wenn wir sehen, dass jemand etwas tut, das unvorstellbar und gänzlich verboten sein sollte, es notwendig ist, präventiv etwas zu tun, damit man nicht von dem, was man gesehen hat, beeinflusst wird!
Dies ist genau das, was der Passuk in unserem Wochenabschnitt Nizawim uns lehrt. Obwohl du die Verwerflichkeit und die Primitivität dieser Götzen aus Holz und Stein gesehen hast, musst du übermässig vorsichtig sein, sie zu meiden und dich der schweren Konsequenzen bewusst sein, wenn man sie nachahmt.
Rabbi Dr. Awraham Joschua Heschel ben Ja’akov Jisrael Twerski (1930 – 2021); Milwaukee (Wisconsin/USA), Monsey (N.Y./USA), Jerusalem, Israel. Rabbi Twersky war ein israelisch-amerikanischer Rabbiner und Psychiater. Er war väterlicherseits ein Nachkomme des Rabbi Nachum von Tschernobyl. Rabbi Twerski schrieb über 90 Bücher über Judentum (Tora, Chassidut und Spiritualität), zu Themen der Psychologie und allgemeiner Lebenshilfe. Er erlangte durch diese zahlreichen Veröffentlichungen internationale Bekanntheit.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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