Siwan / Paraschat Beha’alotecha
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Chatam Sofer:  Kinder als Motivatoren für eine Charakter-Verbesserung (Paraschat Bamidbar und Schawuot 5785)

Kinder als Rettung der Eltern!
Foto: AI Avigail

Wochenabschnitt Paraschat Bamidbar: Chatam Sofer:  Kinder als Motivatoren für eine Charakter-Verbesserung

Rav Frand zu Paraschat Bamidbar und Schawuot 5785  

Ergänzungen: S. Weinmann

Weitere Artikel zu den Wochenabschnitt , finden Sie hier

Eine Talmudstelle im Traktat Jewamot (63b-64a) beleuchtet einen Passuk in der dieswöchigen Parascha. Der Talmud beschäftigt sich mit dem Thema über die Grösse dessen, der sich mit der Mizwa (dem Gebot) von Pirja weRiwja (Heirat und Zeugung von Kindern) beschäftigt und die Strafe dessen, der diese Mizwa nicht erfüllt. Rabbi Elieser sagt: ‘Wer sich nicht mit dieser Mizwa beschäftigt, ist so, als würde er Blut vergiessen, wie Haschem zu Noach sprach (Bereschit 9:6-7): “Wer Menschenblut vergiesst, durch Menschen soll sein Blut vergossen werden… Ihr aber seid fruchtbar, und mehret euch…, dies bedeutet, wer sich nicht mit dem ‘Fruchtbaren und Mehren’ beschäftigt verdient den Tod! Weiter erklärt Rabbi Chanan im Namen von Rabbi Elieser, es steht in der dieswöchigen Parascha (Bamidbar 3:4): “Und Nadaw und Awihu starben vor dem Ewigen… und sie hatten keine Kinder…”. Die Folgerung davon ist: Hätten sie Kinder gehabt, wären sie nicht gestorben!

Die Kommentatoren haben ein Problem mit dieser Feststellung. Wir wissen von Paraschat Schemini  (Wajikra 10:1-2) und auch von dem vorhin zitierten Passuk, dass die Sünde von Nadaw und Awihu war, dass sie ein “fremdes Feuer vor Haschem brachten”. Die Tora scheint damit anzudeuten, dass etwas mit dem ‘fremden Feuer’, das sie darbrachten, falsch war. Ein weiterer Ausspruch von Chasal (unsere Weisen) ist (siehe Raschi Wajikra 10:2), dass sie betrunken waren, als sie das Feuer brachten, und wiederum eine andere Meinung ist, dass sie sich nicht mit ihrem Lehrer Mosche berieten, bevor sie es brachten; der gemeinsame Nenner dieser beiden Meinungen ist, sie hatten einen gewissen Mangel an Derech Erez (Anstandsregeln). Und hier führt Rabbi Elieser ein gänzlich neues Konzept ein – sie starben, weil sie sich nicht mit der Zeugung beschäftigten. Warum sollte man plötzlich ihren Tod mit einer “neuen” Sünde belasten?

Der Chatam Sofer stellt einen sehr interessanten Gedanken vor. ‘Elu we’Elu Diwrej Elokim Chajim’: ‘Beide Meinungen sind g-ttliche Lehren’ und sind in der Lehre von Rabbi Elieser enthalten. Wie erwähnt, messen beide Meinungen die Sünde von Nadaw und Awihu einem Mangel an angemessenem Respekt bei. Der Chatam Sofer fragt: Weisst du, was die grösste Motivation ist, die einen Mensch zu einem Ba’al Middot (ein Mensch mit hervorragenden Charakterzügen) macht? Kennst du die grösste Motivation, um den Derech Erez (Anstandsregeln) zu verbessern? Es sind die Kinder. Wenn du Kinder hast und siehst, dass sie dich ohne Derech Erez (Anstand, Respekt) behandeln, dann weisst du, dass etwas bei dir nicht stimmt.

Raw Wolbe schreibt in seinem Sefer Alej Schor: “Es gibt keinen grösseren Faktor zur Verbesserung der Middot als Kinder zu haben.” Denn, obwohl ein Mensch mit seinen eigenen schlechten Middot leben kann, wenn er in seinen eigenen Kindern unangemessene Charaktereigenschaften sieht, zwingt ihn dies, seine eigenen Middot zu verbessern. Dies ist, was Chasal sagen wollen, wenn sie erklären, dass Nadaw und Awihu starben, weil sie keine Kinder hatten. Wir können chas weSchalom  (G-tt behüte) nicht sagen, dass sie keine guten Eigenschaften hatten, da wir über Gedolej Olam (die Grössen unserer Nation) sprechen. Auf ihrem Niveau jedoch bestand ein gewisser Mangel an Derech Erez. Hätten sie Kinder gehabt, sagt der Chatam Sofer, hätten sie ihren eigenen Derech Erez verbessert.

Was dies in Wirklichkeit sagen will, ist, dass die Verantwortung, Kinder zu haben, mit sich eine Verantwortung für sein eigenes Verhalten mit sich bringt. Nachdem ein Mensch weiss, dass seine Handlungen seine eigenen Kinder beeinflussen werden, kann dies eine eindrückliche Motivation zur Verbesserung seines eigenen Charakters werden.

Mechilta auf Jitro: Die zehn Gebote können sowohl senkrecht als auch waagrecht gelesen werden

Bezüglich Schawuot und fortsetzend mit dem vorhin erwähnten Thema, gibt es eine interessante Mechilta auf Paraschat Jitro (8. Abschnitt, zu Vers 20:13). Die Mechilta sagt: “Die zehn Gebote wurden fünf auf einer Tafel und fünf auf der zweiten Tafel gegeben.” Die Bedeutung, sagt die Mechilta, ist, dass die Gebote nicht nur senkrecht (1, 2, 3, 4, 5), sondern auch waagrecht gelesen werden können. Und die Mechilta bemüht sich, eine Verbindung zwischen den parallelen Geboten auf den zwei Tafeln aufzuzeigen: Zwischen dem 1. und 6. Gebot, 2. und 7., etc. Zum Beispiel sagt die Mechilta: Das erste Gebot ist “Ich bin der Ewige, Dein G”tt”, und das parallele Gebot dazu (6.) ist: “Du sollst nicht morden”. Dies bedeutet, sagt der Midrasch, dass jemand, der einen Mord begeht, nicht nur gegen einen Menschen sündigt, sondern dass er – sozusagen – das Himmlische Bild herabmindert, da der Mensch im G”ttlichen Ebenbild geschaffen wurde. Der Midrasch fährt fort: “Du sollst keine anderen Götter haben (2.)” ist parallel zu “Du sollst keinen Ehebruch begehen (7.)”. Dies lehrt uns, dass jemand, der G”tt untreu ist, mit jemandem vergleichbar ist, der seiner eigenen Frau untreu ist. Und so geht der Midrasch alle Gebote durch. Es steht geschrieben: “Gedenke des Schabbats (4.)”, und dem gegenüber steht: ” Du sollst nicht wider deinen Nächsten als falscher Zeuge aussagen (9.)”, um zu lehren, dass jemand, der den Schabbat nicht hütet, wie jemand ist, der eine falsche Zeugenaussage macht, nämlich dass der Ribbono schel Olam (Herr der Welt) das Universum nicht in sechs Tagen geschaffen und am siebten Tag geruht hat.

Alle Beispiele dieses Midrasch scheinen Sinn zu machen, bis auf den letzten. Es steht geschrieben: “Ehre deinen Vater und deine Mutter (5.)”. Das parallele Gebot dazu ist “Du sollst nicht begehren (gelüsten) das Haus deines Nächsten, seine Frau…(10.).” Der Midrasch fährt fort: “Ein Mensch, der eifersüchtig ist, wird letzten Endes ein Kind haben, das seinen eigenen Vater verflucht, und jemandem Respekt erweisen wird, der nicht sein eigener Vater ist.” Was ist die Verbindung, die der Midrasch uns zu sagen versucht?

Wenn man darüber nachdenkt, ist die Verbindung des Midrasch offensichtlich. Wenn wir eifersüchtig auf unsere Freunde sind – mag es ihr Reichtum oder ihre Position im Leben oder in der Gemeinschaft sein – welche Botschaft übergeben wir damit unseren Kindern? Die Botschaft, die wir ihnen vermitteln, ist, dass “der andere es besser hat”. Wenn man ständig eifersüchtig auf das Haus, das Auto, die Ehre etc. des Nachbarn ist, sagt man damit, dass das, was ich habe, nie gut genug, nicht ausreichend ist. Was dieser Midrasch uns lehrt, ist, dass wir zusätzlich zu dieser Haltung, die gänzlich falsch ist, einen zerstörerischen Einfluss auf unsere Kinder haben. Ein Kind lernt daraus, nicht mit dem zufrieden zu sein, was er hat. Was hat ein Kind denn eigentlich? Ein Kind hat einen Vater. Das Kind wird von seinem Vater am Ende lernen, dass das, was er hat, nie gut genug ist und andere Leute es besser haben. Das Resultat davon ist, ein Kind, das auch nie zufrieden oder glücklich sein wird, also wird es auch mit seinem eigenen Vater nicht zufrieden sein. Es wird einen Freund finden, dessen Vater besser und netter ist, und es wird seinen eigenen Vater verfluchen und jemanden ehren, der nicht sein Vater ist. Dies ist wiederum, was der Chatam Sofer sagt: Wenn es keinen anderen Grund für einen Menschen gäbe, seine Charaktereigenschaften zu verbessern, würden Kinder ausreichen. Was du bist, ist das, was deine Kinder sein werden, und deshalb gibt es keinen grösseren Motivator, negative Eigenschaften zu korrigieren, als Kinder zu haben!

Quellen und Persönlichkeiten:

Mechilta ist ein Midrasch zu Sefer Schemot. Als Verfasser wird Rabbi Jischmael ben Elischa angegeben. Die Mechilta zählt zu den Hauptwerken des halachischen Midrasch. In Wirklichkeit aber enthält sie mehr aggadische als halachische Bestandteile. Das Wort Mechilta („Auslegungsnorm“) kommt aus dem Aramäischen und bedeutet so viel wie das hebräische Midda („Mass“, „Norm“).

Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.

Chatam Sofer (1762-1839) [Rabbi Mosche Sofer / Schreiber]; Pressburg/Bratislava, Slowakei. Rosch Jeschiwa und einer der führenden Rabbiner des 19. Jahrhunderts. Er schrieb zahlreiche Werke, wie acht Bände Responsen, 18 Bände Erklärungen zum Talmud, Kommentare zur Tora, Briefe, Gedichte und ein Tagebuch. Die meisten Werke tragen den Namen „Chatam Sofer“.

Rabbi Schlomo Wolbe 1914 – 2005); Berlin, Frankfurt, Schweden, Petach Tikva, Jeruschalajim   Er ist vor allem als Autor des Werkes Alej Schur bekannt, einem Mussar-Klassiker, der das Dimensionswachstum in Bezug auf Schüler des Talmud behandelt. 

Schlomo (August Wilhelm) Wolbe wurde in Berlin als Sohn von Eugen Wolbe geboren. Er wuchs in einem säkularen jüdischen Elternhaus auf und erhielt seine Ausbildung an der Universität Berlin (1930–1933). Während seines Studiums wurde er durch die Bemühungen der orthodoxen Studentenvereinigung V.A.D. (Vereinigung jüdischer Akademiker in Deutschland) zum Ba’al Teschuva. Nach dem Studium besuchte er das Hildesheimer Rabbinerseminar und die Jeschiwa von Rabbiner Joseph Breuer in Frankfurt. Er studierte weiter an der Jeschiwa von Rabbi Botschko in Montreux in der Schweiz. Anschließend besuchte er die Mirer Jeschiwa in Polen, wo er Schüler des Maschgiach Ruchani, Rabbi Jerucham Levovitz und in gewissem Masse von Rabbi Jecheskel Levenstein wurde.

Während seines Aufenthalts in Mir befreundete sich Rav Wolbe mit einem jungen Mann aus Stockholm, Schweden, Bert Lehmann, Sohn von Hans (Chajim) Lehmann an. Während des Zweiten Weltkriegs war Rav Wolbe, der deutscher Staatsbürger war, von der Deportation bedroht und konnte der Mirer-Jeschiwa nicht nach Russland folgen. Hans Lehmann lud Wolbe ein, bei seiner Familie zu bleiben und der jüdische Lehrer für seine Söhne zu sein. So konnte Rav Wolbe die Kriegsjahre im neutralen Schweden verbringen. Während er in Schweden war, arbeitete er dort als Rabbiner. Am Ende des Krieges gründete er in Lidingö eine Mädchenschule für Flüchtlinge. Dort verfasste er Broschüren über das Judentum auf Schwedisch und Deutsch.

Im Jahr 1946 zog Rav Wolbe in das Mandatsgebiet Palästina und studierte an der Jeschivat Lomsa in Petach Tikva. Anschliessend heiratete er Rivka Grodzinski, die Tochter von Rabbi Avraham Grodzinski von der Slabodka-Jeschiwa. Dadurch wurde er ein Schwager von Hagaon Rabbi Chajim Kreiswirth aus Belgien. Rav Wolbe setzte sein Studium am Kollel Torat Erez Jisrael in Petach Tikva bei Rabbi Jizchak Katz fort. 1948 übernahm Rav Wolbe eine kleine Jeschiwa, die zu einer Jugendorganisation namens Esra gehörte. Zwei Jahre später schloss sich ihm Rabbi Mosche Schmuel Shapiro von Brisk an. Die Jeschiwa befand sich in der kleinen Stadt Be’er Ja’akov und wurde als Be’er Ja’akov Jeschiva  bekannt. Rav Shapiro wurde Rosch Jeschiva und Rav Wolbe zum Mashgiach Ruchani. Mehr als 30 Jahre lang, bis 1981, diente Rav Wolbe als Menahel Ruchani von der Jeshivat Be’er Ja’akov.

Später diente er als Maschgiach in der Lakewood Jeschiva in Juruschalajim, bevor er Jeschivat Givat Schaul eröffnete, ein Haus der Gelehrsamkeit, das sich auf Mussar spezialisierte In diesen Jahren nach 1981 hielt Rav Wolbe Mussar-Vorträge in verschiedenen Jeschiwot sowie in kleinen Gruppen. Er schuf viele “Mussar-Häuser”. 

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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