Kislew/ Paraschat Wajeschew
Kislew/ Paraschat Wajeschew

Awraham, die Lokomotive (Paraschat Chaje Sara 5786)

Verhielt sich Elieser richtig?

Verhielt sich Elieser richtig?
Foto: AI Avigail

Awraham, die Lokomotive

Rabbi Berel Wein zu Paraschat Chaje Sara 5786

mit Ergänzungen von S. Weinmann

Weitere Artikel zum Wochenabschnitt finden Sie hier

Handelte Elieser richtig, als er sich im Voraus ein Zeichen eines Verhaltens machte, um festzustellen, welche Frau die geeignete Partnerin für Jizchak sein würde? Dies ist eine anhaltende Debatte unter den Kommentatoren und Gelehrten bis zum heutigen Tag. Maimonides kritisiert ihn für dieses Verhalten, während Rabbi Awraham ben David (Ra’awad) Maimonides scharf dafür kritisiert, Elieser kritisiert zu haben.

Der Talmud Traktat Schabbat [67a-b] erörtert im Namen der Tossefta [achtes Kapitel von Massechet Schabbat] alle Arten von Handlungen, Zeichen, Hinweisen, Sprüche auf glückliche Fügungen oder als Schutz vor Gefahren, etc., deren Verwendung für Juden verboten sind, weil es Aberglauben ist. Die klare Richtlinie der Tossefta ist, dass alles, was sich erfahrungsgemäss als etwas von förmlichem Einfluss erwiesen hat, erlaubt ist, während diverse Amuletten für Erfolg und andere erfahrungsgemäss unbewiesene Zeichen und Vorzeichen verboten sind, da sie dem heidnischen Glauben (Darkej haEmori) und dessen Bräuchen entnommen sind.

Infolge von grossem historischem und sozialem Druck über die Jahrhunderte hinweg sind viele solcher Omen und Zeichen in die jüdische Gesellschaft eingesickert und haben mit der Zeit den Rang von akzeptierten Bräuchen erworben. Und wir sind uns alle der Macht und des Einflusses bewusst, die Bräuche auf Menschen haben können.

Ich denke oft an den reumütigen Ausspruch von Rabbi Ja’akow Emden, der bekannterweise sagte, dass "es bedauernswert ist, dass 'Du sollst nicht stehlen' ein biblisches Gebot und nicht ein Brauch ist, denn wäre es ein Brauch gewesen, hätten es mehr Leute eingehalten." Ein Teil des Problems in der heutigen Gesellschaft ist die Priorisierung von Omen und Zeichen und fragwürdigen Bräuchen über die Werte und Beachtungen des Judentums selbst, wie sie von der Tora und rabbinischen Schriften vorgeschrieben werden. Die unscheinbaren Mächte scheinen immer zu gewinnen.

Was (zumindest für mich) interessant ist, ist die Tatsache, dass man in der Tora nichts mehr über Elieser hört, nachdem seine Aufgabe, Riwka zu Jizchak zu bringen, vollendet ist. Wenn man die Meinung von Maimonides annimmt, dass Eliesers Verwendung von Vorzeichen und Omen unrichtig und ungerechtfertigt war, würde dies vielleicht das spätere Verschwinden seines Vorhandenseins aus dem Text der Tora erklären. Diejenigen jedoch, die sein Verhalten loben und ihn als einen vorbildlichen Menschen betrachten, sehen sich mit der Angelegenheit seines Nichtvorhandenseins in den Erzählungen der Tora nach der Erfüllung der Mission, die Awraham ihm übergab, konfrontiert.

Ein Gleichnis wird im Namen von Rabbi Jisrael Meir HaKohen (Kagan) (der Chafez Chajim) erzählt: Ein Mensch, der noch nie einen Zug sah, steht an einer Kreuzung und sieht, wie der Zug vor seinen Augen vorbeiflitzt. Er bemerkt, dass alle Wagen des Zuges mit derselben Geschwindigkeit wie die Lokomotive dahinrasen. Er realisiert nicht, dass die Wagen unabhängig von der Lokomotive keine eigene Fähigkeit haben sich fortzubewegen. Wenn die Lokomotive nicht weiterfahren kann, halten alle Wagen an.

Unser Vater Awraham war die Lokomotive, die Elieser und viele andere in ihrer Suche nach G"tt mit sich zog. Wenn er die Welt verliess, wie in der dieswöchigen Parascha aufgezeichnet, wurde Elieser erschüttert und machte ihn unfähig, weiter geistig zu wachsen. Deshalb hat die Tora uns nichts Weiteres über ihn zu erzählen.

Die Lehre davon für uns alle Juden ist, dass wir alle Lokomotiven sein sollten, nicht nur Zugswagen, die mitgeschleppt werden.

Jehi Sichro Baruch – Möge sein Andenken zum Segen sein.

Quellen und Persönlichkeiten:

Rabbi Awraham ben David von Posquières (1125-1198); Narbonne, Posquières (Frankreich). Bekannt unter dem Akronym Ra’awad. Er war ein talmudischer Gelehrter in der Provence. Er ist vor allem durch seine"Hassagot" kritischen Bemerkungen und Kommentaren zu den Werken des Rambam’s (Maimonides) bekannt geworden. Er studierte bei Rabbi Mosche ben Joseph ben Merwan ha-Levi und Rabbi Meschullam ben Ja’akow von Lunel, zwei der einflussreichsten und angesehensten Gelehrten der Zeit.

Er gründete und leitete in Posquières eine Jeschiwa, deren Studenten von weither stammten: aus Frankreich, Deutschland, Spanien, Nordafrika, Italien, Palästina und slawischen Ländern. Für die Bedürfnisse von mittellosen Schülern sorgte er aus seinen eigenen Mitteln. (Er soll durch Handel mit Textilien grossen Reichtum erworben haben.) Zahlreiche seiner Schüler und engen Anhänger wurden selbst zu herausragenden Rabbinern und Autoren in den jüdischen Gemeinden der Provence. Rabbi Chajim Vital (Maharch’u), der Hauptschüler des Ari Hakadosch, schreibt, dass der Ra’awad einer der ‘Hauptüberlieferer der Kabbala-Lehre’ war. Er hinterliess unzählige Werke; leider ging ein ansehnlicher Teil davon verloren.

Rambam, Akronym für Rabbi Mosche ben Maimon (Maimonides) (1135 – 1204); Spanien, Ägypten, Israel. Einer der bedeutendsten Rischonim, seine Hauptwerke sind: Das umfassende Werk zum jüdischen Recht „Mischne Tora-Jad Hachsaka“, Erklärung zur Mischna und „Moreh Newuchim“ (Führer der Irrenden / Unschlüssigen), wie weitere Werke.

Rabbi Ja’akow ben Zwi Emden (1698 - 1776), bekannt mit dem Akronym JAWE’Z, Emden, Altona (Deutschland). Grosser Gelehrter und Verfasser verschiedener Werke, u.a. seiner sehr bekannten Erklärung zum Siddur.

______________________________________________________________________________

Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

______________________________________________________________________________

Copyright © 2025 by Verein Lema'an Achai / Jüfo-Zentrum.

Zusätzliche Artikel und Online-Schiurim finden Sie auf: www.juefo.ch und www.juefo.com  

 Weiterverteilung ist erlaubt, jedoch nur unter korrekter Angabe der Urheber und des Copyrights von Autor und Verein Lema’an Achai / Jüfo-Zentrum.

Das Jüdische Informationszentrum („Jüfo“) in Zürich steht Ihnen für Fragen zu diesen Artikeln und zu Ihrem Judentum gerne zur Verfügung: info@juefo.com

 

Wir benötigen Ihre Hilfe

Der Verein Lema’an Achai ist eine non-profitable Organisation. Unsere Einnahmen rekrutieren sich ausschliesslich von Sponsoren. Deshalb sind wir um jede Spende dankbar.

Accessibility