Wochenabschnitt Paraschat Lech Lecha: Lieber “zu schlecht” sein als “zu gerecht”
Rav Frand zu Paraschat Lech Lecha – Beitrag 2
Ergänzungen: S. Weinmann
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Im Passuk steht: “Es entstand Streit zwischen den Hirten von Awram und den Hirten von Lot, und der Kena’ani und der Perisi wohnten damals im Lande” (Bereschit 13:7). Ein Streit brach aus zwischen den Hirten von Awram und Lot. Lots Hirten liessen ihr Vieh auf Eigentum weiden, das ihnen nicht gehörte, stahlen also von den Besitzern dieser Eigentümer und Awrams Hirten protestierten dagegen. Awram instruierte seine Hirten sogar, seinem Vieh Maulkörbe anzulegen, wenn sie sich auf oder neben einem Land befanden, das anderen Leuten gehörte, damit sie nicht weideten, wo dies ihnen nicht erlaubt war.
Awram sagte zu Lot: “Lot, ich liebe dich wie einen Bruder (er war sein Neffe und Schwager), aber es ist an der Zeit, dass unsere Wege sich trennen. Ich möchte mit dir keinen Streit haben. Du kannst beschliessen, wohin du gehen willst, aber wir können nicht mehr zusammenleben.” Alsdann beschloss Lot sich von Awram zu trennen, und zog weiter nach Sedom.
Die Frage muss gestellt werden: Awram hatte einen Einfluss auf Tausende von Menschen. Warum konnte er nicht mit seinem eigenen Verwandten hinsitzen und mit ihm über Ehrlichkeit sprechen? Warum konnte er Lot nicht dazu bringen, seine Hirten zu unterweisen, nicht von der Ernte anderer zu stehlen?
Die Antwort ist, dass Lot war in der Annahme, dass er das Recht hatte, sein Vieh weiden zu lassen, wo immer er wollte! Der Passuk betont: “Der Kena’ani und der Perisi wohnten damals im Land.” Lot schlussfolgerte, dass Awram dazu ausersehen war, das gesamte Land Kena’an zu erben. Aufgrund von Haschems Versprechen gehörte es wirklich Awram. Awram war aber ein älterer Mann, der keine Kinder hatte. Wer würde das Land von ihm erben? Dies wäre sein nächster Verwandter, nämlich Lot selbst. Mit dieser verworrenen Logik meinte Lot, dass er nur das nahm, was sowieso eines Tages sein sein würde. Deshalb war er der Meinung, dass es kein Diebstahl ist, und man konnte ihn nicht überzeugen, dass dem nicht so war.
Es ist möglich, einen Einfluss über Menschen zu haben, wenn sie wissen, dass sie im Unrecht sind. Wenn Menschen jedoch meinen, dass sie recht haben, kann man mit ihnen von heute bis morgen sprechen, und es wird nicht helfen! Raw Ruderman sZl. pflegte zu sagen: Es steht in Kohelet “Sei nicht ein allzu grosser Zaddik… Sei nicht ein allzu grosser Rascha…” (Kohelet 7:16-17). Es gibt verschiedene Erklärungen zu diesen Versen (Raschi zur Stelle erklärt, dass sich dies auf Scha’ul Hamelech bezieht, er erbarmte sich auf Amalek (gegen den Willen G”ttes) und umgekehrt war er grausam gegen die Kohanim von Now). Raw Ruderman pflegte zu fragen: “Was ist schlimmer?” Er antwortete: Es ist besser, ein zu grosser Rascha zu sein als ein zu grosser Zaddik. Wenn ein Mensch schlecht ist, weiss er, dass er schlecht ist, und er weiss, dass er sich ändern muss. Ein Mensch jedoch, der sich als Zaddik betrachtet, erwägt nie die Möglichkeit, dass er im Unrecht sein könnte und dass er sich auch ändern müsse. Es ist unmöglich, mit solchen Leuten zu sprechen. Ein klassisches Beispiel dafür ist Lot. Er war überzeugt, dass er ‘al pi Din – nach dem Gesetz’ das Recht hatte, sein Vieh im Land von anderen Leuten weiden zu lassen. Es gab also keine Möglichkeit, es ihm auszureden.
Awram realisierte dies. Deshalb verabschiedete er sich von seinem Neffen und sagte: “Lot, gehe du in deinem Weg, und ich werde in meinem Weg gehen.”
Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
Rav Ja‘akov Jizchak Ruderman (1900 – 1987) war ein bekannter talmudischer Gelehrter und Rosch Jeschiwa der Jeschiwa Ner Jisrael (in der Rav Frand lehrt) in Baltimore, USA. Schüler des “Alten von Slabodka.” Im Jahre 1933 gründete Rav Ruderman die Jeschiwa in Baltimore und stand ihr 54 Jahre lang vor. Er baute sie zu einer der grössten Jeschiwot in Amerika aus; sie brachte bis jetzt Tausende von Rabbinern, Pädagogen und Gelehrte hervor.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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