Wochenabschnitt Paraschat Chaje Sara: Elieser verändert sich von ‘Arur’ zu ‘Baruch’, indem er die ‘Negiut’ umgeht (Arur – Verfluchter, Baruch – Gesegneter, Negiut – persönliche Interessen)
Rav Frand zu Paraschat Chaje Sara 5785
Ergänzungen: S. Weinmann
Weitere Artikel zum Wochenabschnitt , finden Sie hier
Die Geschichte, wie Elieser den Schidduch zwischen Jizchak und Riwka fertigbringt, ist eine der längsten Erzählungen im Chumasch. Die Tora scheint sich bei der Beschreibung dieser Erzählung sehr zu wiederholen. Die 67 Pessukim (Verse) des 24. Kapitel hätten in viel kürzerer Art geschrieben werden können. Chasal (unsere Weisen) kommentieren dazu, wie Raschi sie zur Stelle (24:42) zitiert: “Rabbi Acha sagt: Vorzüglicher ist das Gespräch der Sklaven der Patriarchen vor dem Ewigen als die Lehre ihrer Kinder; denn, siehe der Abschnitt von Elieser steht doppelt in der Tora, und viele Grundsätze der Lehre sind nur angedeutet.” (Bereschit Rabba 60:6)
Der Midrasch sagt, dass einige der Grundgesetzte der Tum’a (Unreinheit) und Tahara (Reinheit) von einem zusätzlichen Buchstaben “waw” in der Tora abgeleitet werden, während die Tora über die Gespräche zwischen Elieser und Riwka, Riwkas Vater und Bruder sehr ausführlich berichtet.
Im Passuk steht: “Und Awraham sprach zu seinem Knecht, dem Ältesten seines Hauses, der über alles, was ihm gehörte, waltete: ‘Lege doch deine Hand unter meine Hüfte (was ein Zeichen für einen Schwur war)!” (Bereschit 24:2). Chasal erklären die Worte “hamoschel bechol ascher lo” (der über alles, was ihm gehörte, waltete) damit, dass Elieser seinen Jezer Hara (bösen Trieb) genauso unter Kontrolle hatte wie Awraham. Nicht einfach ein durchschnittlicher Knecht. Er war jemand, der über alles regierte, was er hatte – er hatte eine gänzliche Kontrolle über sich selbst!
Raschi zitiert die Gemara (Traktat Joma 28b), die den Titel erläutert, den die Tora Elieser gibt: ‘Damesek Elieser’ (Bereschit 15:2). Die einfache Deutung ist, (siehe Targum Onkelos), dass er von Damaskus kam. Die Gemara deutet ‘Damesek’ als Akronym von ‘Dole uMaschke’ miTorat Rabbo le’Acherim (er schöpfte die Tora-Weisheit von seinem Herrn und gab sie anderen zu trinken). Elieser war ein Talmid muwhak (ein kontinuierlicher Toraschüler) von Awraham Awinu und leitete Awraham Awinus Toralehren anderen weiter.
Die meisten Menschen haben keine Kontrolle über sich selbst. Sie unterliegen ihren Begierden und Leidenschaften. Dies war bei Elieser nicht der Fall.
Als Awraham Elieser die Mission übergab, eine Frau für seinen Sohn Jizchak aus seiner Heimat und Familie zu finden, stellte Elieser eine Frage (Bereschit 24:5): ‘Ulai’ – Vielleicht wird die Frau mir nicht in dieses Land folgen wollen; darf ich dann deinen Sohn in das Land (Aram) zurückführen, aus dem du hergekommen bist? Awraham verneinte dies und warnte Elieser, Jizchak nicht nach Padan Aram zurückzuführen. Eliesers Frage begann mit dem Wort “Ulai” (vielleicht).
Bezüglich dieses Passuks sieht der Midrasch Rabba zur Stelle (59:9) eine Verbindung zum Passuk in Hoschea (12:8): ‘Kena’an beJado Mosnej Mirma la’aschok Ohew – Kena’an hat eine falsche Waage in seiner Hand und betrügt den Geliebten’. Chasal erklären bezüglich dieses Passuks in Hoschea, dass Kena’an sich hier auf Elieser bezieht (Elieser war verwandt mit Kena’an). Chasal bringen das Wort “ulai” in Verbindung mit “ejlai” (zu mir) und deuten an, dass Elieser in Wirklichkeit im Sinn hatte, dass Jizchak seine eigene Tochter heiraten sollte. Er überlegte die Chancen, Awrahams Sohn Jizchak als seinen eigenen Schwiegersohn zu erhalten Er hoffte, dass Rivka nicht einverstanden sein würde, mit ihm mitzukommen und dass Awraham dann keine andere Wahl haben würde, als Eliesers Tochter als Schwiegertochter zu nehmen! Für diesen Plan beschuldigen Chasal Elieser und bringen ihn mit dem Passuk in Hoschea in Verbindung, der Kena’an als jemanden züchtigt, der eine falsche Waage hat. Chasal sagen, dass Awraham Elieser in gänzlich offener Weise antwortete: “Du (als Verwandte von Kena’an) bist verflucht (Bereschit 9:25) und mein Sohn ist gebenscht (gesegnet), und ein Verfluchter kann sich nicht mit jemandem vereinigen, der gebenscht ist.”
Es gibt in diesem Ausspruch von Chasal zwei Lektionen:
Lektion Nr. 1: Obwohl Chasal sagen, dass Elieser über seinen eigenen Jezer Hara so sehr Kontrolle hatte wie Awraham, und obwohl er als Damesek Elieser – der die Tora seines Herrn mit anderen teilte – bekannt war, klagt ihn der Midrasch trotzdem als jemanden an, der mit “falschen Waagen” herumgeht. Wie können diese zwei Gedanken in Einklang gebracht werden?
Die Antwort ist – und dies ist eines der beängstigendsten Dinge im Leben – dass die Macht des Negiut (persönlichen Voreingenommenheit) sehr heftig ist. Wenn ein Mensch einen Hintergedanken hat, kann dies seine gesamte Perspektive von allem verzerren. Negiut ist eine mächtige Emotion. Wenn ein Mensch einen persönlichen Hintergedanken hat, kann dies den nobelsten Menschen blenden! Er kann die Dinge nicht mehr klar sehen. Der Alter von Kelm erklärt, dass dies der Gedanke von “falschen Waagen” (Mosnej mirma) ist. Es war nicht ein krasser Wunsch, schlecht zu sein; vielmehr war es, dass das Mass seiner Werte leicht daneben war. Ein Mass, dessen Gleichgewicht leicht verzogen ist, kann kein genaues Mass zeigen. Dies geschieht sogar mit einem erhabenen Menschen, der moschel bechol ascher lo ist – sogar so sehr wie Awraham Awinu.
Ich sage immer, dass wenn jemand hört, wie ein Mensch sagt: “Ich bin vielleicht ein nogea beDawar (habe vielleicht ein persönliches Interesse daran), aber…” man den Rest des Satzes vergessen sollte. Menschen können ihre persönlichen Tendenzen einfach nicht überwinden. Die einzige Hoffnung für einen Menschen, sich nicht von seinem Negiut beeinflussen zu lassen, ist, jemand anderen um Rat zu bitten. Deshalb ist es so wichtig, einen Freund, einen Rabbiner, jemanden im Leben zu haben, an den man sich wenden und ihn fragen kann: “Sehe ich dies objektiv an oder nicht?”
Lektion Nr. 2: Als Elieser eintraf, sagte Lawan: “Bo, Baruch Haschem” (Komme, Gebenschter/ Gesegneter von Haschem) (Bereschit 24:31). Chasal schliessen aus dieser Beracha, dass Elieser als Belohnung für seinen treuen Dienst an Awraham aus seinem Zustand eines ‘Arur’ (Verfluchten) in einen Zustand des ‘Baruch’ (Gebenschten) hervorging.
(Anmerkung des Herausgebers: Es ist sehr schwierig zu verstehen, wie Lawan, der Götzendiener und Schwindler solch einen fantastischen Segen – im Namen des Ewigen! – abgab und dieser auch äusserst erfolgreich war?! Im Sohar Hakadosch Paraschat Schelach Lecha (158a) steht, dass ein Engel kam und ihm diese Worte in den Mund legte (ähnlich wie bei Bile’am)!
Wie fand diese Verwandlung statt? Überlegen Sie sich das Folgende: Wie würden Sie reagieren, wen jemand Ihnen sagen würde: Sie sind verflucht. Ihre Tochter ist verboten. Sie kann meinen Sohn oder jemand anderen, der gebenscht ist, nicht heiraten. Nachdem Sie solch eine unverblümte Botschaft erhalten hätten – wie würden Sie reagieren, wenn dieselbe Person Ihnen sagen würde: “Und übrigens, jetzt will ich, dass Sie für meinen Sohn einen angemessenen Schidduch finden.” Wie würden die meisten Menschen reagieren?
Gut, man könnte sagen, dass Elieser ein treuer Diener war und er es trotz der Beleidigung tun würde. Würde er es jedoch mit Enthusiasmus tun? Würde er es mit Eilfertigkeit tun, es so effizient tun wie möglich? Die natürliche Reaktion wäre, dass “du mich gerade beleidigt hast. Ich werde mir Zeit nehmen, eine Frau für deinen Sohn zu finden! Ich werde es tun, weil es meine Arbeit ist, aber erwarte nicht von mir, es mit Enthusiasmus zu tun, nachdem du mich so verletzt hast!
Und doch unternahm Elieser diese Mission mit grossem Eifer und grosser Schnelligkeit, Gewissenhaftigkeit und Hingabe. Was geschah mit ihm? Die Antwort ist, dass er sein Negiut beiseitelegte und er diese Beleidigung überwand. “Okay. Es ist eine Tatsache. Ich bin ein Arur. Jetzt hast du mir jedoch eine Aufgabe übergeben, und ich werde diese auf optimale Weise erfüllen.” Indem er sich über seine persönlichen Emotionen und Tendenzen emporhob, ermöglichte dies Elieser, den Zustand des ‘Arur’ zurückzulassen und den Status des ‘Baruch’ zu übernehmen, wie geschrieben steht “Bo, Baruch Haschem”.
(Anmerkung des Herausgebers: Elieser ist einer von zehn, die lebendig ist Jenseits gelangten! Messechet (Traktat) Derech Erez Suta, Ende Kapitel 1 – eine der “Messechtot Ketanot/ Kleine Traktate”)
Sohar (Hakadosch): Jüdische Mystiklehre (Kabbala), gelehrt von Rabbi Schim’on bar Jochai (ca. 67-160).
Midrasch Rabba (der grosse Midrasch): Grosse Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch der Tanna’im (Mischnagelehrten) und Amora’im (Talmudgelehrten).
Messechtot Ketanot – Die kleinen Traktate: Zusätzlich zur Mischna und zum israelischen wie babylonischen Talmud gibt es noch eine Anzahl von Traktaten, die ausserhalb des Mischna- und Talmud-Ordnungsrasters geblieben sind. Sie heissen „kleine Traktate“ / „kleinere Traktate“ – da sie nicht die Autorität der eigentlichen Mischna und des babylonischen Talmuds besitzen. Sie wurden im Mischna-Stil geschrieben. In der Regel sind sie am Ende der Ordnung Nesikin abgedruckt.
Einige davon:
- Awot deRabbi Nathan – DieserTraktat ist grösstenteils in der Reihenfolge des Pirkej Awot (Sprüche der Väter) angeordnet (und eine Art Tosefta (Hinzufügung), wie es zu den Ordnungen der Mischna gibt).
- Traktat Sofrim. Vorschriften wie Tefilin, Mesusot und eine Sefer Tora zu schreiben.
- Traktat Ewel Rabati – Grosse Trauer – Bestattungsgesetze, Trauerreden und Trauer (auch Antonym Traktat Smachot (Freude)genannt).
- Traktat Kala – (Braut). Vorschriften für Verlobung, Ehe, eheliche Beziehungen.
- Traktat Kala Rabbati (Grosser Braut-Traktat) – eine Erweiterung des vorherigen Traktats, angeordnet in Form der Mischna und der Gemara.
- Derech Erez Rabba (Manieren, Benehmen, Anstand), zwischen einem und dem anderen.
- Derech Eretz Suta – moralische Unterweisung für Toragelehrte: Ratschläge zur Selbstkritik und Bescheidenheit.
- Traktat Awadim (Sklaven) – Details zum Sklavengesetz.
- Traktat Gerim – Art und Weise wie Gerim (Proselyten) aufzunehmen sind.
- Traktat Kutim – die halachische Behandlung der Kutim (Samaritaner).
- Traktat Sefer Tora. Vorschriften für die Sefer Tora.
- Traktat Mesusa.
- Traktat Tefillin – Einer der kleinsten Traktate, der nur aus einem Kapitel besteht, das sich mit den Gesetzen der Tefillin befasst.
- Traktat Zizit.
Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
__________________________________________________________________________________
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
_________________________________________________________
Copyright © 2024 by Verein Lema’an Achai / Jüfo-Zentrum.
Zusätzliche Artikel und Online-Schiurim finden Sie auf: www.juefo.ch und www.juefo.com
Weiterverteilung ist erlaubt, aber bitte verweisen Sie korrekt auf die Urheber und das Copyright von Autor und Verein Lema’an Achai / Jüfo-Zentrum.
Das Jüdische Informationszentrum („Jüfo“) in Zürich erreichen Sie per E-Mail: info@juefo.com für Fragen zu diesen Artikeln und zu Ihrem Judentum.