Wochenabschnitt Paraschat Noach: Die Erklärung des “Alten von Nowardok“ zum Passuk “Noach war ein Zaddik in seiner Generation”
Rav Frand zu Paraschat Noach – Beitrag 1
Ergänzungen: S. Weinmann
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Über die Jahre hinweg haben wir verschiedene Interpretationen zu einem der bedeutendsten Kommentare von Raschi im ganzen Chumasch gebracht. Zum Passuk “Noach war ein “Zaddik” (gerechter/frommer Mann), “Tamim” (vollkommen/tadellos) in seinen Geschlechtern (Bereschit 6:9) bemerkt Raschi: “Manche unserer Weisen deuten dies zum Ruhm, um so mehr, wenn er in einem Zeitalter von gerechten Menschen gelebt hätte, wäre er noch ein grösserer Gerechter gewesen; und manche deuten es zur Schande, im Verhältnis zu seinem Zeitalter war er ein Gerechter, hätte er aber in der Generation von Awraham gelebt, so wäre er als unbedeutender Mensch betrachtet worden.”
Das Problem mit dieser Raschi – die auf die Talmudstelle im Traktat Sanhedrin 108a basiert – ist, warum versuchen einige Weisen, an Noach etwas auszusetzen? Warum soll man das eindeutige Lob der Tora – er war ein Gerechter in seinen Generationen – auf nachteilige Art darlegen?
Ich sah vor kurzem eine Erklärung in Namen des “Alten von Nowardok”. Diese Einsicht ist nicht ein Pschat (einfache Interpretation). Sie passt nicht genau in die Worte der einfachen Interpretation der Toraworte. Sie steht im Zusammenhang von “Ejn meschiwin al haDrusch”, man sollte homiletische Interpretationen der Tora nicht in Frage stellen. Deshalb ist die Botschaft sicherlich korrekt, obwohl sie nicht genau zu den Worten passt.
Der Alter von Nowardok interpretiert die Worte wie folgt: Der Grund, warum Noach ein gerechter Mensch (Zaddik) war, ist, weil er sah, was mit den restlichen Menschen seiner Generation geschah. Manchmal befindet sich ein Mensch in einer Situation, wo die Welt um ihn herum so korrupt und in Unmoral versunken ist, dass er sich sagt: “Ich kann nicht ein Teil dieser Generation sein; wenn ich ein Teil dieser Gesellschaft werde, werde ich so enden wie alle anderen!” Die Tatsache, dass die Gesellschaft um ihn herum so verdorben war, war seine Inspiration, über diese gesamte Gesellschaft erhaben zu sein. Er befürchtete, so wie alle anderen zu werden, deshalb isolierte er sich von ihnen.
Diejenigen, die den Passuk “ein gerechter Mann in seinen Generationen” negativ interpretieren, sagen, dass falls Noach in einer Generation wie derjenigen von Awraham gelebt hätte, in der die Gesellschaft nicht so verdorben war, Noach nicht genügend Motivation aufgebracht hätte, sich vom durchschnittlichen Verhalten der Gesellschaft abzuspalten. Noach hätte sich gesagt: “Was ist so schlecht an der Art und Weise, wie jeder lebt? Ich bin zufrieden, so wie mein Nachbar zu sein – nicht besser und nicht schlechter.”
Manchmal lesen wir Geschichten über jemanden, der ein erfolgreicher Anlagebankier an der Wall Street war und 200 Millionen Dollar im Jahr verdiente und jedes halbe Jahr ein neues Auto kaufte. Plötzlich sagt sich der Mann: “Ich will das eigentlich nicht.” Er geht mit seiner Angelrute nach Montana oder mit seinem Jagdgewehr nach Alaska und wird nie wieder gesehen. Er hat die Gesellschaft, in der er sich befindet, satt und sagt: “Ich habe genug von diesem Konkurrenzkampf, ich habe genug von allem!” Er zieht an einen Ort, der Kilometer vom nächsten Nachbarn entfernt ist; er ernährt sich aus der Natur; er jagt Tiere und fischt, und ist zufrieden mit sich selbst. Vielleicht wird er ein Dichter oder Künstler und verdient $10’000 im Jahr und überlebt nur knapp; aber er ist der glücklichste Mensch der Welt, weil er die Gesellschaft, in der er früher lebte, hasst.
Lehawdil ist dies, was der Alter von Nowardok über Noach sagt. Falls er in Awrahams Generation gelebt hätte, wäre er als geistig tieferstehend betrachtet worden – weil er nicht die Motivation des Abscheus der Gesellschaft um ihn herum gehabt hätte, die ihn dazu inspirierte, ein moralisches und gerechtes Leben zu führen.
Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
Rabbi Josef Joisel Horovitz, (1847–1919); bekannt als “Alter von Novardok“. Schüler von Rabbi Jisroel Salanter, dem Gründer der Mussar-Bewegung. Er gründete ein Netzwerk von Kollelim in 20 polnischen und russischen Städten. Auch gründete er die Novardoker Jeschiwa in der Stadt Navahrudak (Region Grodno, Polen/Litauen, heute Weissrussland), wie viele weitere Jeschiwot in grösseren Städten. In seiner Blütezeit zählte das Jeschiwa-Netzwerk der Novardok-Jeschiwa rund 4’000 Studenten. Der Namen seiner Werke: Madregas HaAdam.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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