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Cheschwan/ Paraschat Chaje Sara
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Simcha (Freude) – die Basis für Teschuwa – Perspektiven zu Jom Kippur 5785

Die Essenz der Teschuwa (Reue, Rückkehr)!

Simcha (Freude) – die Basis für Teschuwa – Perspektiven zu Jom Kippur 5785

Die Essenz der Teschuwa (Reue, Rückkehr)!
Foto: AI free sharing

Simcha (Freude) – die Basis für Teschuwa

Von Rabbi Chajim Pinchas Scheinberg sZl.

Aus DJZ, Nr. 41, 8. Tischri 5766 / 11. Oktober 2005

Ergänzungen: S. Weinmann

Der Talmud erklärt, dass ein Mensch, der am Erew Jom Kippur eine festliche Mahlzeit isst, eine Belohnung erhält, als hätte er zwei Tage gefastet (Traktat Berachot 8b). Warum ist dies so?

Einer der grössten Erfolge, die ein Mensch in seinem Leben erzielen kann, ist die Sühne für all seine Sünden! Ich hörte einmal vom Maschgiach Rav Jerucham von Mir sZl., dass der letzte der fünfzehn Sätze von Dajenu (es hätte uns genügt)” in der Pessach-Haggada den Zweck hat, zu zeigen, dass der Bau des Bejt Hamikdasch, der für all unsere Sünden sühnt, unser allergrösster Lob G-ttes ist, wie es dort heisst am Schluss: “וּבָנָה לָנוּ אֶת בֵּית הַבְּחִירָה לְכַפֵּר עַל כל עֲונותֵינוּ – Er baute uns das ausserwählte Haus (Tempel), um für all unsere Sünden zu sühnen”. Dies lehrt uns, dass die Sühne das grösste Geschenk ist, das Haschem uns gegeben hat.

Der Ramban schreibt in seinem Werk “Scha’ar Hagemul”, dass sogar all das schreckliche Leid, das Ijow (Hiob) hier auf der Erde erlitten hatte, nicht ausreichend gewesen wäre, um auch nur für die kleinste Sünde einer Person zu sühnen, wenn er diese Leiden erst im Gehinnom (Hölle) erlitten hätte!

Es ist deshalb das grösste denkbare Privileg, einen Tag der Sühne zu haben, an dem man sich von der Verunreinigung der Sünden und Verfehlungen befreien kann. Es kann keine grössere Freude im Leben eines Menschen geben als das Bewusstsein, dass ihm seine Sünden verziehen worden sind.

Und das äussere Zeichen dieser grossen Freude ist die festliche Mahlzeit, die wir am Erew Jom Kippur einnehmen. Damit zeigen wir unsere grosse Freude, dass der Tag unserer Sühne eingetroffen ist. Wenn ein Mensch solch eine Begeisterung für die Ankunft des Tages der Sühne zeigen kann, erhält er eine Belohnung, als hätte er zwei Tage gefastet.

Wir alle sind uns der Wichtigkeit von Jom Kippur bewusst. Wenn unsere Weisen sagen, dass er der wichtigste aller Feiertage ist, meinen sie damit, dass er grösser ist als Schawuot, an dem wir die Tora erhalten haben; grösser als Pessach, der Grundlage unseres Glaubens; und grösser als die Freude an Sukkot-Fest, das in unseren Gebeten “Sman Simchatejnu, “Zeit unserer Freude”, genannt wird.

Ein Mensch, der den Mechanismus der “Teschuwa”, der Rückkehr, der Reue, nicht versteht, könnte meinen, dass man zu schwermütig und von Schuldgefühlen belastet wird, wenn man sich an alle Sünden erinnert, die man im vergangenen Jahr begangen hat. Aber dem ist nicht so.

Der Talmud sagt uns, dass die Teschuwa zu den sieben Dingen gehört, die vor der Erschaffung der Welt erschaffen wurden (Traktat Pessachim 54a). Weiter sagen sie, dass Haschem die Welt mit der Eigenschaft der Gerechtigkeit (Middat Hadin) erschaffen wollte, aber Er sah, dass eine solche Welt nicht überleben wird. Eine Welt, die nur mit Gerechtigkeit geschaffen würde, würde eine Welt sein, in der die Menschen für ihre Sünden sofort bestraft würden!

Eine Welt, die mit der Eigenschaft der Gnade (Middat Harachamim) erschaffen wird, wie dies bei unserer Welt der Fall ist, ist genau das Gegenteil. Erstens kommt die Strafe nicht sofort, sondern wird aufgeschoben, und auch nachher, wenn sie kommt, kommt sie nicht mit voller Kraft des Gesetzes, sondern mit Milde und Erbarmen. Wir könnten deshalb annehmen, dass Teschuwa ein Aspekt dieser Gnade ist, aber das ist sie nicht. Teschuwa ist eine Sache für sich, ein Geschenk (das noch vor der Erschaffung der Welt erzeugt wurde), das uns von unseren Sünden reinigt.

Wenn ein Mensch Haschems Willen nicht gehorcht, drückt sich seiner Seele ein “Stempel der Unreinheit” auf. Haschem, Der mit einer Mikwa verglichen wird (“Mikwe Jisrael Haschem”), die die Unreinheiten reinigt, reinigt die Seele des Menschen und wäscht den Makel weg, der durch seine Sünde verursacht wurde. Dies ist ein Begriff, den wir leicht verstehen können.

Was passiert jedoch, wenn z.B. jemand einen anderen Menschen umgebracht hat? In solchen Fällen hatte seine Sünde Resultate, die nicht rückgängig gemacht werden können! Wie wird eine Wiedergutmachung erreicht?

Die Antwort ist ein schwieriger Gedanke, der leichter durch eine Analogie verstanden werden kann: Wenn ein Mensch von einem Neder (Gelübde) befreit werden möchte, muss er zu einem Toragelehrten gehen und dieses auflösen lassen. Auf welcher Basis wird das Gelübde aufgelöst? Der Mensch wird gefragt: “Hast du, als du das Gelübde ablegtest, realisiert, was du getan hast und was die Auswirkungen sein werden?” Wenn die Antwort “nein” ist, wird der Mensch gefragt: “Bereust du nun von ganzem Herzen, dieses Gelübde gemacht zu haben?” Wenn die Antwort auf diese Frage “ja” ist, dann nehmen wir an, dass er nicht im Besitz seiner vollen geistigen Fähigkeiten war, als er das Gelübde machte. Er rutschte voreilig in das Gelübde hinein, ohne viel nachzudenken. Vielleicht war er ein wenig zornig, ein wenig beunruhigt – und deshalb machte er ein Gelübde, das er sonst nie gemacht hätte.

Der Raw, der den Menschen fragt, ob er sich voll bewusst gewesen sei, was er tue, als er das Gelübde machte und ob er dies jetzt richtig bedaure, gestattet dem Menschen also praktisch, den eigenen Willen, der hinter dem Gelübde stand, aufzuheben.

In ähnlicher Weise wird die Aufhebung des Willens zur Sünde als eine Aufhebung der Tat selbst betrachtet, wie es der Messilat Jescharim (Abschnitt 4) trefflich ausdrückt. Obwohl es eine Tatsache ist, dass ein Mensch getötet wurde, fühlt der Täter Schmerz in seinem Herzen, wenn er realisiert, dass er etwas Fürchterliches getan hat. Er wünscht von ganzem Herzen, diese Tat nie verübt zu haben, und wird es vermeiden, die Sünde nochmals zu wiederholen.

Dies hebt den Willen auf, der die Tat ausgelöst hat, und entfernt so die Sünde vollständig.

Gnade (Middat Harachamim) allein kann dies nicht erreichen. Gnade kann bei der Verzeihung einer sündigen Handlung angewendet werden, die nur den Menschen selbst betrifft, nicht aber für die Vergebung einer vollendeten Tatsache. Diese kann nur durch Teschuwa aufgehoben werden – und dies ist die Essenz der Teschuwa.

Teschuwa ist also die Erklärung, dass die Tat auf einem “Grundlageirrtum” beruht hat. Ich hätte die Tat nie getan, wenn ich gewusst hätte, welche Konsequenzen damit verbunden sind. Damit erreichen wir, dass die Tat als ungeschehen betrachtet wird. Dann gibt es keine Sünde mehr und der Mensch muss sich nicht unendlich schuldig fühlen.

Es ist eine grosse Herausforderung, Teschuwa richtig auszuführen. Die Gesetze und Details der Teschuwa sind umfangreich, und Rabbejnu Jona schrieb ein ganzes Werk, namens “Scha’arej Teschuwa (Lehre über moralisches Verhalten)” über dieses Thema. Spezielle Sefarim (Bücher) sind geschrieben worden, die alle Sünden aufzählen, die man sich ausdenken kann. Wir alle gehen das Aschamnu” und “Al Chejt” durch, und in einer gewissen Form haben wir fast alle erwähnten Sünden begangen. Wenn wir am Jom Kippur das Widuj (Sündenbekenntnis) “Aschamnu” und “Al Chejt” sagen, bedauern wir in der Regel, gewisse Sünden begangen zu haben und Haschems Willen nicht erfüllt zu haben, gewisse Mizwot zu tun, die wir tun sollten. Und wir nehmen es auf uns, uns im kommenden Jahr zu verbessern.

Grundsätzlich, so lehren es uns unsere Rischonim, bleiben zwei weitere Bedingungen für Teschuwa, auch nachdem wir uns von der Sünde mündlich distanziert haben, “Charata” und “Kabbala”. “Charata” bedeutet, zu bedauern, was man getan hat. Mit “Kabbala” nimmt man auf sich, es nie mehr zu tun. Teschuwa – ein völliges Auswaschen – gelingt jedoch nur richtig, wenn ein echtes Bedauern vorhanden ist. Wenn ein Mensch nicht richtig bedauert, was er getan hat, verdient er keine Teschuwa. Er muss sich sagen können: “Ich wollte es nicht tun. Irgendeine innere negative Kraft hat mich dazu gebracht, es zu tun. Mein Wille war es aber nicht.” Und wenn kein Wille hinter der Tat stand, gibt es die Sünde nicht mehr, und es sollten auch keine unendlichen Schuldgefühle mehr geben.

Teschuwa muss jedoch mit ganzem Herzen getan werden. Man sollte sich nicht etwas vormachen.

Es zeigt – seitens unserer Weisen – ein bemerkenswertes Verständnis der menschlichen Natur, dass wir in der Tefilat Amida (Schemone Esre) von Ma’ariw – anschliessend an Tefilat Ne’ila – sagen: “Selach lanu… – Verzeihe uns, dass wir gesündigt haben.” Wenn alle Sünden am Jom Kippur verziehen wurden, wann gab es dann Zeit zu sündigen?

Unter dem Druck der letzten Chance für Verzeihung bei Tefilat Ne’ila ist ein Mensch auf Teschuwa konzentriert, kein Gedanke der Sünde kommt in seinen Kopf. Aber sobald dieser Druck weg ist, können ihm ungewollte Gedanken kommen.

Die grossen Mussar-Meister führten ein Notizbüchlein, in dem sie ihre Taten aufzeichneten, damit sie täglich alle ihre Taten überprüfen und analysieren konnten. Im Geist gingen sie ihre Reden und Gedanken des ganzen Tages durch, denn sie waren entschlossen, jegliche Handlung zu verbessern, die eine Sünde auszulösen schien. Das Ziel dieser Prüfung war es nicht, übertriebene Selbstbeobachtung und ein dumpfes Brüten über das eigene Leben auszulösen, sondern es ihnen zu ermöglichen, in der Zukunft besser zu handeln.

Wir sollten immer bestrebt sein, negative Eigenschaften zu korrigieren. Wenn ein Mensch jähzornig ist, gibt es wirksame Mittel, die er tun kann, um sich zu ändern. Er kann versprechen, jedes Mal 20 Dollar zu zahlen, wenn er einen Jähzornsanfall hat. Er kann es sogar auf 50 Dollar erhöhen – so wird er es sich zweimal überlegen, bevor er zornig wird!

Der ernsthafte Mensch wird konstruktive Mittel finden, um sich zu bessern – Mittel, die nicht zu einer Depression führen.

Niemand ist unfehlbar. “Es gibt keinen gerechten Mann auf der Welt, der nur Gutes tut und nie sündigt” (Kohelet/Prediger 7:20) (gemäss unserer Weisen, gab es im Laufe der tausenden Jahre nur einige ganz wenige, die nie sündigten). Teschuwa wurde sowohl für die Gerechten als auch für die Bösen geschaffen. Sie ist eine helfende Hand, die ausgestreckt wird, um einen Menschen zur Besserung zu führen. “Fühle dich nicht schuldig! Fühle dich glücklich, die Gelegenheit zu haben, Teschuwa zu tun.” Wir essen eine besondere festliche Mahlzeit am Tag vor Jom Kippur, weil wir den Sechut (Verdienst) hatten, den Tag der Sühne zu erreichen, an dem wir wieder rein werden können. Es ist eine Gelegenheit, uns von allen Sünden zu reinigen, die im vergangenen Jahr unsere Seelen befleckt haben, und wir können neu beginnen.

Es mag mache Leute überraschen, zu hören, dass Glücklichsein die Basis für Teschuwa bildet. Eine glückliche Person wird nicht so oft sündigen wie eine unglückliche Person. Ein deprimierter Mensch wird Sünden begehen, die er sonst nicht begehen würde. Ein Mensch, der fröhlich ist, macht seine Arbeit besser, weil – wie wir es wissen – ein deprimierter Arbeiter seine Arbeit nicht gut leisten kann. Dies gilt für jeden Aspekt des Lebens. Der fröhliche Mensch wird seine Ziele viel wirksamer erfüllen und erreichen als einer, der unglücklich ist.

Glücklichsein und Freude ist die Basis für Teschuwa!

Eine Gemar Chatima Towa!

Quellen und Persönlichkeiten:

Ramban: Akronym von Rabbi Mosche ben Nachman – “Nachmanides” (1194 – 1270); Gerona, Spanien; Erez Jisrael; einer der führenden Toragelehrten (Rischonim) des Mittelalters, einer der Haupterklärer des Chumasch (fünf Bücher Moses), wie Verfasser weiterer Werke in Haschkafa (Kitwej haRamba“n) und Abhandlungen zum Talmud.

Rabbejnu Jona ben Abraham Gerondi (1200-1263); Girona, Barcelona und Toledo, Spanien. Rabbiner und Rosch Jeschiwa. War einer der bekannten Rischonim. Cousin des Ramban (Nachmanides). Bekannt durch seine Werke: „Scha’arej Teschuwa (Lehre über moralisches Verhalten)“, Erklärungen zu Pirkej Awot und Mischlej, wie Abhandlungen zum Talmud (grosser Teil ging verloren).

Rabbi Mosche Chajim Luzzatto [der “RaMCHaL”] (1707 – 1747): Rabbiner und Gelehrter, gilt als einer der bedeutendsten jüdischen Philosophen und Kabbalisten seines Jahrhunderts. Verfasser von vielen Werken. Einer seiner Hauptwerke ist das Buch “Messilat Jescharim” (“Weg der Rechtschaffenen”), wie weitere Werke „Derech Haschem“, etc.; Padua, Amsterdam, Israel.

Rabbi Jerucham Halevi Leibowitz (Levovitz) (1874 – 1936): Einflussreicher Denker, Maschgiach (Leiter und geistiger Ratgeber) der Jeschiwa in Mir, Litauen. Verfasser vieler Werke, u.a. Da’at Chochma uMussar und Da’at Tora zum Chumasch.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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