Rav Frand zu Parschat Para
Lass die Mutter kommen und den Schmutz aufräumen, den das Kind hinterlassen hat“
Ich würde gerne mit Ihnen die folgende wunderschöne Idee teilen über die Awejra (Sünde) des Goldenen Kalbes. Ich habe sie in einem Artikel von Raw Avigdor Nebenzahl, dem Raw von Jerusalems Altstadt gesehen.
Die Ereignisse um das Goldene Kalb, die nur rund drei Monate nach dem Auszug aus Ägypten und der Spaltung des Schilfmeeres geschahen, nur wenige Wochen nach der Erscheinung am Sinai, ist eine der befremdlichsten Episoden in der Torah. Wie konnte der Klal Jisrael, so kurz nach der Erreichung schwindelerregender geistiger Höhen, eine solche Sünde begehen?
Chasal (unsere Weisen) lehren uns, dass die Parah Adumah (die Rote Kuh) für das Chet haEgel (Sünde des Kalbs) sühnt. Unsere Weisen benutzten die Metapher: “Lass die Mutter (Kuh) kommen und den Schmutz aufräumen, den ihr Kind (Kalb) hinterlassen hat.“
Diese Aussage symbolisiert weit mehr als nur die Mutterkuh-Kalb-Beziehung. Chasal sagen uns, dass es in der Natur einer Parah Adumah etwas gebe, das ein wirksames Gegenmittel ist und eine Sühne für alles, wofür das Chet haEgel stand. Die Herausforderung liegt darin, die Verbindung aufzudecken. Was hat Parah Adumah mit dem „Egel“ zu tun?
Die Messechet (Traktat) Parah beschäftigt sich ausführlich mit dem Prozess der Vorbereitung der Asche der Parah Adumah. Auch wenn man diese Mischnajot nur oberflächlich lernt, ist man beeindruckt von den Vorkehrungen, die die Weisen getroffen haben, damit die Parah Adumah auf dem höchsten Standard von Reinheit gemacht wurde (“al taharat hakodesch”).
Zwischen den Leuten, die in die Vorbereitung der Parah Adumah involviert waren und jeglicher Art von Tum‘ah (Unreinheit), wurden Wände und Barrieren gebaut. Der ganze Prozess wurde unter „Sicherheitsvorkehrungen“ durchgeführt, um sicherzustellen, dass keine Tum‘ah mit den Leuten, die mit der Vorbereitung der Asche beschäftigt waren, in Kontakt kommen kann. Diese Asche wurde nachher im „Sprüh-Ritual“
benutzt, das jene Personen reinigte, die mit Toten in Kontakt gekommen waren.
Diese Sicherheitsmassnahmen gingen soweit, dass die Kinder, die dazu benutzt wurden, das Wasser für die Mischung der Parah Adumah zu schöpfen, an speziellen Orten geboren wurden und während ihrer ganzen Kindheit behütet wurden, damit sie nie mit einer Tum‘ah in Berührung kamen.
Eine Anomalie aber existierte in diesem Prozess. Die Mischna sagt: „Der Kohen, der die Parah Adumah verbrannte, um die Asche zuzubereiten, bekam den Status von einem „Tewul Jom“ [Parah 3:7]. Dies heisst, er selbst wurde unrein, musste in einer Mikwe untertauchen und dann bis Nachteinbruch warten, um wieder gänzlich tahor (rein) zu sein.
Ein „Tewul Jom“ darf keine Opfer darbringen, weil er bis Sonnenuntergang noch nicht ganz tahor ist. Auf den ersten Blick würden wir annehmen, dass ein „Tewul Jom“ nichts mit der Vorbereitung der Parah Adumah zu tun haben dürfe. Dies war jedoch nicht so: nicht nur war es einem Kohen, der ein „Tewul Jom“ war, ERLAUBT, eine Parah Adumah vorzubereiten, sondern man BEHARRTE darauf, dass jeder Kohen, der in die Verbrennung einer Parah Adumah involviert war, zuerst zu einem „Tewul Jom“ gemacht wurde.
Diese Vorschrift basierte auf der Auslegung, dass ein Kohen, der ein Tewul Jom ist, die Parah Adumah verbrennen dürfe. Aus diesem Grund gingen die Weisen bis ins Extreme in allen anderen Bereichen, die mit der Vorbereitung der Parah zu tun hatten. Man sollte nicht denken, dass man nicht peinlich genau sein musste in allen Fragen der Reinheit und Unreinheit, wenn man die Parah vorbereitet (auch wenn – wie erwähnt – ein „Tewul Jom“ die Parah verbrennen kann, obwohl er keine anderen Opfer darbringen durfte).
Die Weisen entschieden, dass man in den anderen Bereichen der Vorbereitung sozusagen „übertreiben” müsse, um einer solchen Auffassung vorzubeugen.
Die Frage über die Zulässigkeit dieser rabbinischen Anforderung, die einem Kohen Tewul Jom erlaubte, die Parah Adumah zu verbrennen, war Gegenstand einer grossen Auseinandersetzung zwischen den Peruschim (Pharisäern] und den Zedukim (Sadduzäern) während der Zeit des zweiten Tempels und auch später. Die Zedukim legten die Torah wörtlich aus und lehnten die Gültigkeit der mündlichen Überlieferung und der rabbinischen Erklärungen ab.
Die Tosefta in Parah sagt: In der Zeit des zweiten Bet Hamikdasch, als viele Kohanim Gedolim (Hohepriester) korrupt und manchmal sogar Zedukim waren, geschah es einmal, dass ein Zeduki Kohen Gadol eine Parah Adumah „richtig“ vorbereiten wollte, ohne, dass er selbst ein Tewul Jom war. Die Weisen zwangen ihn, tameh (unrein) zu werden und stellten dann sicher, dass er in die Mikwe ging. Statt aber die Parah Adumah dann als ein Tewul Jom zu verbrennen, verschleppte der Zeduki Kohen Gadol diese Arbeit, bis es Nacht war. Da die Parah in der Nacht nicht verbrannt werden durfte, sagte er, er werde es am nächsten Tag tun.
Rabbi Jochanan ben Sakai persönlich weckte diesen Kohen am nächsten Morgen und machte ihn nochmals tameh und zwang ihn in die Mikwe zu gehen, um sicherzustellen, dass er die Parah in einem Zustand von Tewul Jom verbrannte, entgegen dessen Vorhaben und dessen ursprünglichem Plan.
Die Tosefta berichtet schliesslich, dass dieser Zeduki Kohen Gadol Rabbi Jochanan ben Sakai damit drohte, dass er sich bei Gelegenheit an ihm rächen würde. Drei Tage später starb dieser Kohen Gadol.
Dies alles beschreibt den Kampf, der in der Zeit des Tempels und der Mischnah zwischen den Peruschim und den Zedukim existierte, auch bezüglich der Prozedur um die Parah Adumah.
Parah Adumah repräsentiert nicht nur das typische “Chok” (unverständliches Gebot in der Torah). Es stellt auch das typische Beispiel eines Gesetzes dar, bei dem der gesunde Menschenverstand unterdrückt werden muss, zu Gunsten der Erklärungen unserer Chachamim und ihren Anordnungen. Parah Adumah ist das Paradebeispiel von einem Gesetz, das uns befiehlt, der Torah und unseren Gedolim (Weisen) “blind” zu folgen, auch wenn wir es selbst nicht verstehen.
Jetzt wollen wir zur Awejra des Goldenen Kalbes zurückkehren.
Man könnte sagen, die Juden waren nicht daran schuld, dass sie dem Goldenen Kalb dienten. Stellen wir uns vor, ein Vater nimmt seinen zehnjährigen Sohn in das grösste Einkaufszentrum der Welt irgendwo in den USA. Man kann dort eine ganze Woche verbringen und immer noch nicht alle Geschäfte gesehen haben. Stellen wir uns vor, der Sohn ist vom Einkaufszentrum überwältigt, und stellen wir uns weiter vor, der Vater verschwindet.
Der Junge ist in einem ihm fremden Ort. Er kennt niemanden. Wäre es verwunderlich, wenn dieses verängstigte Kind in Panik gerät? Wäre es verwunderlich, wenn dieses Kind zu einem Fremden ginge und sagen würde: „Sei mein Vater?“
So hat sich der Klal Jisrael in der Wüste gefühlt. Sie waren in der Mitte des Nichts. Sie waren gänzlich von einem Mann abhängig – Mosche Rabbejnu – der jetzt verschwunden war. Mosche hatte für Wasser gesorgt. Er hatte für das Manna gesorgt. Er hatte dafür gesorgt, dass sie vor schädlichen Elementen geschützt waren. Er war die einzige Verbindung zwischen ihnen und Haschem. Ohne Mosche gerieten sie in Panik.
Erstaunt es da, dass sie einen neuen Vermittler suchten zwischen sich und Haschem? Einen solchen hatte es doch immer gegeben. Wir können verstehen, wie sie sich gefühlt hatten. Unter den gegebenen Umständen war das Bauen des Goldenen Kalbes eine fast logische und rationale Reaktion. Was war dann der Vorwurf gegenüber dem Klal Jisrael? Wo handelten sie falsch?
Der Vorwurf basiert auf dem Umstand, dass Mosche, bevor auf den Sinai stieg, ihnen klar gesagt hatte: “Wenn ihr ein Problem habt, geht zu Aharon und Chur [Schemot 24:14]. Der Vergleich mit dem Einkaufszentrum trifft deshalb nicht ganz zu. Vielmehr hätte der Vater hier seinen siebzehnjährigen Sohn mitgebracht und dem jüngeren Sohn aufgetragen: “Wenn du mich nicht findest, geh zu deinem Bruder, er weiss was zu tun!”
Was passierte? Die Leute gingen zu Chur und sagten: “Wir haben eine wunderbare Idee. Sie heisst „das Goldene Kalb“. Es wird unser neuer Führer sein.” Chur entgegnete, dass es eine schreckliche Idee sei und verbot ihnen, sie auszuführen. Als Ergebnis erschlugen die Leute Chur.
Weshalb? Weil sie dachten, es wäre eine gute Idee. Dann gingen sie zu Aharon und wiederholten ihre Idee. Aharon sah, dass sie Chur getötet hatten, und – aus welchem Grund auch immer – war er einverstanden, ihnen zu helfen.
Der Fehler des Klal Jisrael war, dass sie Beschlüsse fassten, ohne die verantwortlichen Menschen zu befragen. Ein so revolutionärer Schritt – Mosche Rabbejnu durch ein Goldenes Kalb zu ersetzen – hätte nicht ausgeführt werden dürfen, ohne zuerst eine “Schajla” (Frage an den Rabbiner) zu stellen und dann auch bereit zu sein, die Anweisungen zu befolgen.
Sie fühlten kein Bedürfnis, eine “Schajla” zu fragen. “Es macht Sinn”, argumentierten sie. Das Goldene Kalb beinhaltete neben der Sünde des Götzendienstes auch einen weiteren fundamentalen Makel.
Jeder muss sich bewusst sein, dass es verschiedene Dinge gibt, die man nicht selbst tun kann. Manchmal muss man eine “Schajla” fragen, und oft wird es Situationen geben, in welchen man seine eigene Meinung zurückstellen und die Meinung einer vorgesetzten Person akzeptieren muss.
Jetzt macht es Sinn, dass die Parah Adumah für die Awejra des Goldenen Kalbes sühnen soll.
Das „Chet HaEgel“ war eine Situation, als die Leute nicht fragten und nicht bereit waren, ihre eigene Meinung zurückzustellen. Sie benutzen ihre eigene Logik und ihren Verstand. Dies ist was die Zedukim immer taten. “Ich kann die Torah lesen. Ich kann alleine verstehen, was darinsteht. Ich brauche keinen Rabbiner, der mir erklärt, was ich tun soll.” Dies ist genau die Awejra der Erbauer des Goldenen Kalbes.
Nun verstehen wir, was unsere Weisen meinten, wenn sie sagten: “Lass die Kuh kommen und den Schmutz aufräumen, den das Kalb hinterlassen hat“.
Die Geschichte darf sich nicht wiederholen. Die Parah Adumah steht nicht nur dafür, das eigene Verständnis dem G“ttlichen zu unterwerfen, sondern auch der Auffassung der Rabbanim. Damit schafft man das Gegenmittel gegen die geistige Selbstüberschätzung, die zur Schaffung des Goldenen Kalbes führte.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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