Nissan/ Wajikra
Nissan/ Wajikra

Keduscha raus – Tum’a rein / Heiligkeit raus – Unreinheit rein (Parschat Para 5785)

Warum ist es einem Kohen verboten, eine geschiedene Frau zu heiraten?

Keduscha raus – Tum’a rein / Heiligkeit raus – Unreinheit rein (Parschat Para 5785)

Warum ist es einem Kohen verboten, eine geschiedene Frau zu heiraten?
Foto: AI Avigail

Keduscha raus – Tum’a rein / Heiligkeit raus – Unreinheit rein

Rav Frand zu Parschat Para 5785

Ergänzungen: S. Weinmann

Der Beginn von Paraschat Chukat (Bamidbar 19:1-22) – der am Schabbat Parschat Para gelesen wird – befasst sich mit der Para Aduma (roten Kuh). Die Anwesenheit eines toten Körpers in einem Raum erzeugt eine Form der geistigen Verunreinigung, die als Tum’at Ohel (Zelt-Unreinheit) bekannt ist und die jede Person im Raum (sogar, wenn diese nicht in physischem Kontakt mit der Leiche war) verunreinigt und sie zu einem “Tamej Met” (geistig unrein, wegen ‘Kontakt mit dem Toten’) macht.

Der Passuk zu Beginn der Parascha lautet: “Dies ist die Vorschrift (das Gesetz der Tora), wenn ein ‘Adam’ (Mensch) in einem Zelt stirbt, so ist alles, was in das Zelt hineinkommt, uns alles, was im Zelt ist, sieben Tagen tamej (unrein)” (Bamidbar 19:14). Rabbi Schimon bar Jochai (Talmud Traktat Jewamot 61a) erläutert: “Du wirst ‘Adam’ genannt, aber Götzendiener werden nicht ‘Adam’ genannt”. Diese Halacha der Zelt-Unreinheit geht nur für den toten Körper eines Israeliten an. Die Leiche eines Götzendieners überträgt eine Todes-Unreinheit nur durch Berührung oder Beförderung, jedoch ein Israelite, der sich lediglich im selben Raum befindet, wird nicht tamej.

Was ist die Logik dieser Unterscheidung? Die Antwort auf diese Frage ist in Wirklichkeit ein fundamentales Verständnis des gesamten Begriffs von Tum’a (geistige Unreinheit). Wie viele Kommentatoren sagen, wird die Tum’a von einem Menschen oder Tier nur dann übertragen, wenn eine Verminderung von Heiligkeit (Hitroknut schel haKeduscha) besteht. Während ein Mensch am Leben ist, hat er eine Neschama (einen geistigen Bestandteil, die ‘Seele’), und besitzt ein gewisses Mass an Heiligkeit. Wenn der Mensch stirbt und die Neschama ihn verlässt, entfernt sich die Quelle seiner Heiligkeit (Keduscha). Genauso wie die Natur ein Vakuum hasst, so tolerieren auch geistige Gesetze kein Vakuum. Wenn die Keduscha abwesend ist, übernimmt die Tum’a ihren Platz. Wenn also ein Mensch stirbt, wird die Keduscha, die er besass und sich jetzt entfernt hat, durch eine geistige Unreinheit (Tum’a) ersetzt. Je heiliger ein Wesen (Mensch oder Tier) ist, desto grösser ist die Tum’a, die entsteht, wenn die Quelle der Heiligkeit dieses Lebewesen sich entfernt hat. Dies erklärt, warum ein verstorbener Jude in einem Zelt verunreinigt, ein Götzendiener oder ein Tier jedoch nicht. Obwohl ein Götzendiener eine Seele besitzt und in der Tat während seiner Lebenszeit ein gewisses Potential für Keduscha besitzt, und nach seinem Ableben auch Tum’a verbreitet, ist es nicht auf demselben Niveau wie ein Israelite und untersteht deshalb nicht der Tum’at-Ohel (Zelt-Unreinheit).

Diese Regel, dass je heiliger ein Wesen ist, desto grösser die Form der entstehenden Tum’a ist, hilft uns, viele der Prinzipien, die wir beim Lernen der Gesetze von Tum’a und Tahara (Reinheit) antreffen, zu verstehen.

Der Schem miSchmuel zitiert eine Lehre des Kotzker Rebben, die ungewöhnlich zu sein scheint. Wenn eine Frau ein Kind hat, befindet sie sich während einer gewissen Zeit nach der Geburt in einem Zustand der ‘Tum’at Lejda’ (Geburts-Unreinheit). Dies ist komplett unabhängig von der ‘Tum’at Nidda’, die durch eine normale Periode entsteht. ‘Tumat Lejda’ ist ein Zustand, der automatisch bei jeder Frau entsteht, die ein Baby geboren hat. Wie erklären wir diese Unreinheit? Hier erfüllt sie doch eine grosse Mizwa, sie bringt ein zusätzliches Leben in die Welt. Welche Handlung könnte nobler sein als diese? Und doch wird sie aufgrund dieser grossen geistigen und physischen Leistung als unrein erklärt. Wie kann dies verstanden werden?

Der Kotzker Rebbe erklärt dies mit dem Zitieren des Ausspruches von Rabbi Jochanan (Talmud Traktat Ta’anit 2a), der sagt, dass HKB”H drei Schlüssel (von drei Kammern) niemandem übergibt, eines davon ist der “Schlüssel einer schwangeren und gebärenden Frau” (die Fähigkeit, schwanger zu werden und ein Baby zu gebären). Diese sind gänzlich im Besitz des Ribbono schel Olam (Herr der Welt) ist. Er übergibt diesen ‘Schlüssel’ niemandem. Wenn also eine Frau schwanger wird, ist sie G”tt nahe. Sie hat eine Partnerschaft mit dem Herrn der Welt, solange sie sich im Prozess befindet, dieses Baby zu haben. Sie befindet sich während ihrer gesamten Schwangerschaft in einer höheren geistigen Dimension. Nachdem sie das Baby geboren hat – Masel Tov – hebt dies ihre spezielle neunmonatige Partnerschaft mit dem Ribbono schel Olam auf. Wenn es eine “Hitroknut schel Keduscha” gibt, wo sich einst Heiligkeit befand, und diese sich jetzt gewissermassen entfernt hat (auch in so einem speziellen Fall), übernimmt die Tum’a ihren Platz.

Wir haben Tum’at HaMet und Tum’at Lejda besprochen. Es gibt aber noch ein drittes Beispiel dieses Phänomens der Unreinheit, die durch die Entfernung der Keduscha entsteht. (Ich habe diesen Gedanken vor kurzem im Namen von Raw Ruderman gesehen, obwohl ich ihn nie persönlich vom Rosch Jeschiwa sZl. gehört habe.)

Das Gesetz ist, dass eine Newejla (ein totes Tier, das nicht rechtmässig geschächtet wurde) auch Tum’a überträgt. Wenn jemand die Neweila isst, übertritt er ein Verbot, für das die Strafe ‘Malkot’ (39 Hiebe) ist. Andererseits, wenn jemand ‘Pigul’ oder ‘Nossar’ isst, erhält er die strenge (Himmlische) Strafe von ‘Karet’ (“ausgerottet” zu werden, nach Raschi ‘stirbt er früher’ und nach Rambam (Maimonides) ‘hat er keinen Anteil an der künftigen Welt’). ‘Pigul’ und ‘Nossar’ werden durch Menschen verursacht. ‘Pigul’ entsteht durch eine “falsche” Absicht beim Schächten eines Opfers. Z.B. der Schächter beschliesst beim Schächten eines Friedens-Opfers, das Fleisch am dritten Tag zu essen (dieses Opfer darf nur 2 Tage gegessen werden), so wird das Fleisch ‘Pigul’ (verabscheut).  ‘Nossar’ bedeutet ‘übrig gelassenes Opferfleisch’, d.h. Fleisch, das nicht während dem angemessenen Zeitrahmen verzehrt wurde, der für dieses Opfer zugeteilt wurde. Bei diesen zwei Beispielen von ‘Pigul’ und ‘Nossar’, wer davon isst, erhält die strenge Strafe von Karet.  

Der Rosch Jeschiwa Raw Ruderman fragte: Warum ist die Strafe für das Essen eines Korban, das auf die eine oder andere Weise ‘passul’ (untauglich) wurde, so viel strenger als für das Essen eines gewöhnlichen Stücks Fleisch, das unsachgemäss geschächtet wurde?

Er beantwortete die Frage mit derselben Idee. Etwas, das bereits ein Korban (Opfer) war, hatte Keduscha. Jetzt, da es durch einen Menschen ‘Pigul’ oder ‘Nossar’ wurde, entfernte sich die Keduscha. Das Verbot, das ein Stück Fleisch betrifft, von dem die Heiligkeit entfernt wurde, ist strenger als ein gewöhnliches Stück Fleisch, das unsachgemäss geschächtet wurde.

Ein weiteres Beispiel: Bezüglich den ‘drei Wochen’ zitiert der Ja’arot Dewasch einen wunderschönen Gedanken. In der Haftara von Schabbat Chason (Schabbat vor Tisch’a beAw), wenn der Prophet Jeschajahu über Jeruschalajim spricht, sagt er: “Wie geht das zu, dass die fromme Stadt zur Hure geworden ist? Rechtschaffenheit verweilte dort, Gerechtigkeit wohnte darin, nun verwandelten sie sich zu Mörder” (Jeschaja 1:21). Während der Periode, vor der Zerstörung des ersten Bejt Hamikdasch, war Mord in Jeruschalajim weitverbreitet. Der Ja’arot Dewasch erklärt das Phänomen: Als die Rechtschaffenheit/Heiligkeit Jeruschalajim verliess, ging sie gänzlich ins andere Extrem. Wo sich einst Keduscha befand, und diese Keduscha aufhörte, weil die Leute vom Weg abwichen, füllte sich das Gebiet mit Tum’a. So füllte sich das gleiche Jeruschalajim, das früher so heilig war, jetzt mit Mördern.

Aufgrund des Obigen äussert der ‘Awnej Neser’ einen sehr interessanten Gedanken. Warum ist es einem Kohen verboten, eine geschiedene Frau zu heiraten? Er bemerkt, dass Chasal sagen (Talmud Traktat Sota 17a) “Wenn ein Mann und eine Frau in Frieden leben, befindet sich die Schechina (G”ttliche Anwesenheit) zwischen ihnen”. Raschi erklärt zur Stelle: ‘Der Ewige hat seinen Namen ‘Ja-h’ geteilt und das ‘Jud’ beim Mann (‘Isch’: ‘Alef-Jud-Schin’) hineingetan und das ‘Hej’ bei der Frau (‘Ischah’: ‘Alef-Schin-Hej’). Wenn ein Ehepaar sich leider scheiden muss, entfernt Sich der Ribbono schel Olam. Wenn der Ribbono schel Olam Sich entfernt, wird die Leere, die durch diese Entfernung der Heiligkeit entstanden ist, durch Tum’a ersetzt. Der Awnej Neser erklärt, dass dies der Grund ist, warum ein Kohen keine geschiedene Frau heiraten darf – weil die Schechina, die sich einst dort (in ihrer ersten Ehe) befand, sich entfernt hat, und die Leere durch eine gewisse metaphysische Unreinheit ersetzt worden ist, die eine schädliche Auswirkung auf die Heiligkeit des Kohens haben würde.

Ich sah eine interessante Frage im Sefer Bej Chija: Wenn dies der Fall ist, warum darf ein Kohen eine Witwe heiraten? Die Halacha ist, dass ein Kohen Gadol (Hohepriester) keine Witwe oder geschiedene Frau heiraten, aber ein gewöhnlicher Kohen eine Witwe heiraten darf. Bej Chija fragt: “Warum sollte dies so sein?” Warum sagen wir nicht, dass solange ihr erster Mann lebte, “die Schechina bei ihnen verweilte”, und jetzt, da ihr erster Mann gestorben ist, die Schechina sich von ihrem Leben entfernt hat und sie eine gewisse metaphysische Unreinheit besitzt, die sie daran hindert, einen Kohen zu heiraten?

Bej Chija bietet eine interessante Erklärung an: Bei einer Witwe befindet sich der Ribbono schel Olam immer noch in ihrem Leben. Die Tora sagt an verschiedenen Stellen, dass der Ribbono schel Olam der Freund und Beschützer von Waisen und Witwen ist und in Mischlej/Sprüche steht (15:25): “Wejazejw Gewul Almana – Er festigt die Schranke der Witwe”. Trotz der Tatsache, dass es eine gewisse Entfernung gab, als ihr Mann starb, erscheint der Allmächtige wieder als der Beschützer von Witwen.  

Natürlich müssen wir erklären, dass es manchmal nicht die Schuld der Frau war, dass sie sich scheiden musste, und der Ribbono schel Olam Sich für sie einsetzen und beschützen wird. In der Tat erklärt Raschi in Paraschat Mischpatim (Schemot 22:21-23) zu den Versen: “Eine Witwe und eine Waise sollst du nicht bedrücken. Denn wenn du sie bedrückst, und sie zu mir schreien, so werde ich ihren Schrei hören. Mein Zorn wird entbrennen…”, ‘dass der G”ttliche Schutz nicht nur auf sie begrenzt ist, sondern dass dies nur Beispiele von unglücklichen und unbeholfenen Menschen sind, und Haschem Sich auf der Seite jedes unglücklichen Menschen befindet’. Wir haben jedoch nicht die Freiheit, uns aufgrund einer solchen Argumentation sich in die Halacha einzumischen. (Dies ist bekannt als das Prinzip von ‘Ejn dorschin Ta’ama diKra’ – wir analysieren nicht die Gründe von biblischen Aussagen, um die Anwendung des Gesetzes zu verändern.) Im Falle von geschiedenen Frauen hängt es von der Situation ab: Manchmal sieht Haschem, dass sie ein unglückliches Opfer ist, und Er ist auf ihrer Seite, und manchmal nicht. Bei Witwen jedoch ist Haschem immer auf ihrer Seite und verlässt sie nicht.

 

Quellen und Persönlichkeiten:

 

  • Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
  • Rabbi Jonathan ben Nathan Eybeschütz (Eibenschütz) (1690 – 1764); grosser Talmudgelehrter, Rabbiner und Kabbalist. Eibenschütz (Tschechien), Prag (Tschechien), Metz (Frankreich) und Altona (damals Dänemark, heute Deutschland). Verfasser von unzähligen Werken zum Talmud, zur Halacha und zum Chumasch. Bekannt nach seinem klassischen Werk Ja’arot Dewasch.
  • Rabbi Menachem Mendel Morgenstern von Kotzk (1787-1859); Chassidischer Rebbe; Lublin, Tomaszów, Kotzk (Polen). Sein Schwerpunkt lag auf Emet, der Wahrheit. Um das Ziel der Wahrheit zu erreichen, war er bereit, alles andere zu opfern. Bekannt für seine scharfsinnigen Sprüche.
  • Rabbi Awraham Bornstein (1838 – 1910); Sochaczew (Sochatschov), Polen. Er war ein führender Possek im Europa des späten 19. Jahrhunderts und Gründer und erster Rebbe der chassidischen Sochatschov- Er wurde bekannt als ‘Awnej Neser’, nach dem Titel seines veröffentlichten Werkes von Tora-Responsen, das weithin als klassisches Halacha-Werk anerkannt ist. Er war ein Schwiegersohn des Kotzker Rebbe. Sein einziger Sohn, Rabbi Schemuel, Autor von ‘Schem Mischemuel’, folgte ihm als Rebbe.
  • Rabbi Schemuel Bornstein (1855 – 1926); Sochaczew (Sochatschov), Polen. Er war der zweite Rebbe der chassidischen Sochatschov -Dynastie, Sohn von Rabbi Awraham, bekannt als ‘Awnej Neser’, nach einem seiner sehr bekannten Werke. Er wurde als Schem MiSchemuel bekannt, durch den Titel seines neunbändigen Werkes homiletischer Gedanken und chassidischem Denken zur Tora und den Feiertagen, das zwischen den Jahren 1910 und 1926 veröffentlich wurde. Er war ein führender chassidischer Denker im Europa des frühen 20. Jahrhunderts und ein Rebbe von Tausenden von Chassidim in den polnischen Städten Sochaczew (Sochatschov) und Lodsz.
  • Rabbi Ja‘akov Jizchak Ruderman (1900 – 1987) war ein bekannter talmudischer Gelehrter und Rosch Jeschiwa der Jeschiwa Ner Jisrael (in der Rav Frand lehrt) in Baltimore, USA. Schüler des “Alten von Slabodka.”  Im Jahre 1933 gründete Rav Ruderman die Jeschiwa in Baltimore und stand ihr 54 Jahre lang vor. Er baute sie zu einer der grössten Jeschiwot in Amerika aus; sie brachte bis jetzt Tausende von Rabbinern, Pädagogen und Gelehrte hervor.
  • Rav Elisha Chajim Hurvitz; Lawrence, N.Y. zeitgenössischer Rabbiner. Verfasser vom Buch Bej Chija auf Chumasch.

 

______________________________________________________________________________

Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

______________________________________________________________________________

 

Copyright © 2024 by Verein Lema’an Achai / Jüfo-Zentrum.

Zusätzliche Artikel und Online-Schiurim finden Sie auf: www.juefo.ch und www.juefo.com

 

Weiterverteilung ist erlaubt, aber bitte verweisen Sie korrekt auf die Urheber und das Copyright von Autor und Verein Lema’an Achai / Jüfo-Zentrum.

 

Das Jüdische Informationszentrum („Jüfo“) in Zürich erreichen Sie per E-Mail: info@juefo.com für Fragen zu diesen Artikeln und zu Ihrem Judentum.

 

 

 

Wir benötigen Ihre Hilfe

Der Verein Lema’an Achai ist eine non-profitable Organisation. Unsere Einnahmen rekrutieren sich ausschliesslich von Sponsoren. Deshalb sind wir um jede Spende dankbar.

Weitere verwandete Artikel

Accessibility