Siwan / Paraschat Dewarim
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Weshalb Sallah Tamari seine Meinung änderte

Weshalb Sallah Tamari seine Meinung änderte

Foto: AI Avigail

Weshalb Sallah Tamari seine Meinung änderte

Aus: DIE JŪDISCHE ZEITUNG 12; Nr. 18, 30. Nissan 5760/5. Mai 2000

“Ich setzte mich in meiner Zelle auf meine Matratze”, erzählt Sallah Ta’amari heute, “und sagte mir: Wenn diese Leute keine Beziehung mehr zu ihrer Vergangenheit haben und es sie nicht stört, vor meinen Augen ihre Religion zu missachten, dann haben sie sich vom Land gelöst, und wir werden unser Ziel erreichen können. In je- ner Nacht änderte ich meine Meinung. Während jener dunklen Stunden sass ich auf meiner Pritsche. Es fiel mir schwer zu akzeptieren, was ich während des kurzen Zusammentreffens mit dem jüdischen Wärter gesehen hatte.”

Tamari hatte damals bereits aufgegeben. Er war überzeugt, dass es den Palästinensern niemals gelingen würde, sich gegen die Juden durchzusetzen. Die Araber würden nie ein eigenes Land haben.

Aber an einem Pessach änderte er seine Meinung.

Kaum zu glauben, dies aber ist eine vollkom- men wahre Begebenheit!

Wir kennen Sallah Tamari nicht. Es gibt jedoch keinen palästinensischen Jugendli- chen, der nicht schon von ihm gehört hat, der nicht weiss, wie er aussieht und der nicht so wie Tamari werden möchte, wenn er gross ist. Tamari gilt bei den Palästinensern als Held. Diesen Ruf erwarb er sich, als er viele Terroranschläge gegen die israelische Armee durchführte, damals, als es nach dem Befreiungskrieg um den Galil ging. Er sass jahrelang in einem israelischen Gefängnis, da er zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt worden war.

Im Gefängnis war er der Anführer der Häft- linge. Die israelischen Beamten konnten bei den palästinensischen Häftlingen nichts erreichen, ohne zuerst mit ihm zu sprechen. Hoch gewachsen, eher britisch als palästi- nensisch aussehend, sprach er ausgezeich- net Englisch, Französisch und Iwrit. Und das mit šberzeugungskraft und Ausstrahlung.

Noch im israelischen Gefängnis nahm er mit dem israelischen Journalisten Aharon Barnea Kontakt auf. Dieser schrieb später ein Buch über diesen Palästinenser. Barnea erhielt schliesslich die Erlaubnis, dass Tamari sie während seines Gefängnisurlaubs zu Hause besuchen durfte. Zwischen den Fa- milien Tamari und Barnea wurden enge Kontakte geknüpft und Barnea erfuhr viel über seine Lebensgeschichte, seine An- sichten und Meinungen.

Sallah Tamari gehört zu den Intellektuellen der palästinensischen Gesellschaft. In sei- nem Buch über Tamari enthüllt Barnea eine überraschende Tatsache: “Tamari”, so Barnea, “beobachtete jahrelang die Lage der Palästinenser im wirtschaftlich und mi- litärisch starken Israel und kam zum Schluss, dass die Palästinenser keine Chance hatten, weder durch Terror noch durch andere Mit- tel. Er riet seinen Freunden, aufzugeben und Wege zu finden, Israel zu überzeugen, dass es ihnen ein Minimum zur Verfügung stelle – so viel wie eben herauszuholen war. Damals fanden viele Palästinenser: “Wenn Sallah Tamari aufgibt, dann wird es wohl so richtig sein. Es ist also nichts zu machen. Wir sind verloren und müssen uns zurückziehen.”

Als er im israelischen Gefängnis sass, fiel es Tamari nicht schwer, den israelischen Wär- tern zu gehorchen. Er hatte aufgegeben. Bis zu jenem Pessachfest: Sallah Tamari wusste vieles über das Pessachfest und dessen Bräuche. Er las viel über die Juden und das Judentum und forderte alle seine Freunde auf, dasselbe zu tun, um mehr “über den Feind” zu wissen.

Doch dann geschah es, an einem Morgen während des Pessachfestes, wie er seinem Freund, dem israelischen Journalisten Aharon Barnea, erzählte: “Ich befand mich damals in meiner Gefängniszelle, eingesperrt und von der Welt abgeschlossen. Die ver- gitterte Türe trennte mich vom beleuchte- ten Korridor, in welchem 24 Stunden täglich der israelische bewaffnete Wächter hin- und her schritt.

Ich erhob mich für einen kurzen Augenblick von meinem Platz, klammerte mich von in- nen an das Gitter und blickte aus meiner Zelle auf den Korridor hinaus. Ich sah den Wärter aus der Ferne langsam sich meiner Zelle nähern. In seiner Hand hielt er etwas, das er immer wieder zu seinem Mund führte. Als er sich bei meiner Zelle befand, rief ich ihn an. Da sah ich, dass er eine gefüllte Pitta ass. Er biss hinein und kaute, biss nochmals hinein und kaute wieder…

,Du bist doch Jude’, sagte ich zu ihm. Der Mann nickte. “Warum dann isst du am Pessach Chamez? Weisst du nicht, dass einem Juden an diesem Fest der Genuss von Gesäuertem verboten ist?’

Der Wärter wunderte sich über meine Wor- te. Er dachte einen Moment nach und ant- wortete: “Ich brauche mich doch nicht dar- um zu kümmern, was mein Volk vor 2000 oder mehr Jahren tat, als es aus Ägypten zog! Damit habe ich nichts mehr zu tun.” “Ich setzte mich auf meine Matratze”, er- zählte Tamari, “und sagte mir: “Wenn diese Leute nichts mit ihrer Vergangenheit zu tun haben wollen und einfach so, vor meinen Augen, ihre Religion verhöhnen, dann hat sich dieses Volk von seinem Land losgesagt. Wir werden unser Ziel erreichen. In derselben Nacht änderte ich meine Ansichten grundlegend. Ich konnte nicht mehr schlafen.

Am folgenden Tag sprach ich zu allen Palästinensern im Gefängnis, alle jene, welche meine Meinung bereits seit Jahren kannten. Ich erzählte ihnen den Vorfall, den ich erlebt hatte und über meine Schlüsse, die ich aus dieser Begebenheit gezogen hatte. Ich gab allen bekannt, dass wir uns auf einen neuen Weg begeben werden. Wir kämpfen wieder, nicht nur um einen kleinen Prozentsatz und nicht um Brosamen, die man uns zuwerfen soll. Uns gegenüber steht ein Volk, welches mit seiner Vergangenheit nichts zu tun haben möchte. Deshalb kann die Motivation dieses Volkes nicht sehr stark sein, um sein Land zu kämpfen. Wir erinnen uns an unsere Geschichte, wir leben sie weiter. Wir können kämpfen, denn es lohnt sich. Seither habe ich tausenden und abertausenden von Leuten meine Geschichte erzählı. Alle habe ich überzeugt, dass wir unsere Linie ändern müssen. Wir müssen kompromisslos kämpfen.”
Tamari wurde später ins palästinensische Parlament gewählt. Man trug ihm im Kabinett Arafats einen Ministerposten an, doch er lehnte diesen ab. Er hat eine angesehene Position innerhalb der palästinensischen Bevölkerung und hält an seinem Weg fest, den er an jenem Pessachmorgen vor vielen Jahren entdeckt hatte.
Der Schaden, den jener israelische Gefängniswärter verursacht hat, ist nicht mehr gut zu machen.

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