Siwan / Paraschat Nasso
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Pirkej Awot – Sprüche der Väter

Die Tora mit Durst trinken

Pirkej Awot – Sprüche der Väter

Die Tora mit Durst trinken
Foto: AI Avigail

Pirkej Awot – Sprüche der VäterKapitel 1, Mischna 4

Kapitel 1, Mischna 4

Ergänzungen: S. Weinmann

Diesen Schabbat beginnt das jüdische Volk mit dem zweiten Zyklus des Lernens von Pirkej Awot

Jossi ben Jo’eser, ein Mann aus Zereda, sagt: ” Es sei dein Haus ein Versammlungshaus der Weisen, und bestäube dich mit dem Staub ihrer Füsse (früher sassen die Schüler auf dem Boden zu Füssen ihrer Lehrer) und trinke mit Durst ihre Worte.“ Ein Mensch soll sich an die Talmidej Chachamim (die Weisen der Tora) klammern. Sein Haus sollte ihnen immer offenstehen und er sollte mit Durst die Worte trinken, die sie aussprechen. 

Rabbi Ja‘akov Kamenetzky, sz”l, weist auf die Lehren der Weisen hin (“Torat Kohanim” zu Paraschat Schemini), dass ein Mensch nicht sagen sollte: “Ich esse kein Schwein, weil ich den Geschmack von Schweinefleisch hasse.” Stattdessen sollte er sagen: “Ich würde liebend gern Schwein essen, aber ich muss davon Abstand nehmen, weil es mir Haschem in seiner Tora so befohlen hat.” In der Tat sagen viele Ba’alej Teschuwa, dass es ihnen beim Übergang in eine religiöse Lebensweise am schwersten gefallen ist, den Verzehr von Schalenweichtieren aufzugeben. “Es war köstlich”, sagen sie. Dies ist die richtige Einstellung, die man haben sollte: Ich wünschte, ich könnte diese verbotene Delikatesse haben – aber per Dekret der Tora ist es mir verboten, also werde ich es so einhalten.

Rav Ja‘akov sagte, dass diese Einstellung angemessen sei, wenn es um bestimmte, verbotene Delikatessen geht – aber sie sollte sich nicht auf das Lernen der Tora beziehen. Man sollte nie sagen: “Ich wünschte wirklich, dass ich kein Tora lernen müsste. Es ist langweilig, es ist dies und jenes, doch ich habe keine Wahl – G-tt sagt mir, dass ich Tora lernen muss, also bin ich dazu verpflichtet. Um G-ttes Willen, sollte man diese Einstellung niemals haben. Wie Jossi ben Jo’eser sagt: Man sollte die Worte der Weisen mit Durst trinken.

Ein Teil der Mizwa des Tora-Lernens besteht darin, aus Freude zu lernen. Aus diesem Grund ist der Segenspruch vor dem Tora-Lernen auch so einzigartig formuliert: “Mache angenehm [weha’arew na] in unseren Mündern die Worte Deiner Tora…” Es gibt keinen anderen Segenspruch, der auch nur annähernd wie dieser formuliert ist. Wir formulieren dies nicht genauso über die Mazza oder über Tefillin. Nur wenn es um das Tora-Lernen geht, flehen wir zu G-tt, er möge die Wörter der Tora “süss” in unseren Mündern machen. Dies ist aus dem Grund, dass die Mizwa des Tora-Lernens darin besteht, das Tora-Lernen zu geniessen.

Rav Weinberg, sz”l, pflegte zu sagen, dass ja bekanntlich Tora mit Wasser verglichen wird. Man trinkt Kaffee für die Energie, die er einem verleiht; man trinkt Coca-Cola, weil es einem mundet. Man trinkt Wasser nur, weil man durstig ist. Aus diesem Grund wird die Tora mit Wasser verglichen. Wir sollten einen Durst danach haben, so wie wir Durst nach Wasser haben. Wenn man nicht durstig ist, trinkt man kein Wasser. Wenn man aber durstig ist, gibt es nichts Besseres als ein kaltes Glas Wasser. Ein Mensch muss seine Nische in der Tora finden, sodass er beim Lernen das Gefühl hat, einen grossen Durst zu stillen und einen grossen Genuss daraus zu ziehen – ähnlich dem, den man fühlt, wenn man seinen Durst mit einem grossen Glass kaltem H2O stillt. So sollte man das Tora-Lernen geniessen.

Quellen und Persönlichkeiten:

Torat Kohanim oder Sifra: Ältester Midrasch Kommentar (Erklärung der Tana’im/Mischna-Gelehrten) zu Sefer Wajikra. Stammt aus dem Bejt Hamidrasch von Rabbi Jehuda, Schüler von Rabbi Akiwa. Raschi zitiert ihn oft.

Rabbi Ja’akov Kamenetzky (1891-1986); Minsk, Slobodka, Seattle, Toronto und New York. War Rabbiner, Rosch Jeschiwa, Possek und grosser Talmudgelehrter. Rosch Jeschiwa von Tora We’Daat, Brooklyn. Zusammen mit Rabbi Mosche Feinstein leitete er das amerikanische Judentum in Fragen der Halacha und in spiritueller Führung bis 1986, als beide Grössen diese Welt verliessen. Verfasser von verschieden Werken, wie Emet leJa’akov zum Schulchan Aruch und Erklärungen zum Chumasch.

Rabbi Jechiel Ja’akov Weinberg (1884–1966) war ein aschkenasischer orthodoxer Possek (“Dezisor” jüdisches Recht) und Rosch Jeschiva. Er ist vor allem als Autor der Responsa-Arbeit von 4 Bänden Seridej Ejsch bekannt. Rabbi Jechiel Ja’akov Weinberg wurde in Ciechanowiec geboren, (damals Russisches Reich, heute Polen). Er studierte an den Jeschivot von Mir und Slabodka. Er wurde Rabbiner in Pilvischki, sieben Jahre lang. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs ging er nach Deutschland. Er lehrte und wurde Rosch Jeschiva des Hildesheimer Rabbinical Seminar  in Berlin.

Rav Weinberg wurde 1934 von Oberrabbiner Joseph Hertz die Position des prestigeträchtigen London Beth Din angeboten. Aber auf Druck seiner Studenten in Berlin lehnte Weinberg das Angebot ab, woraufhin es Dayan Jechsekel Abramsky angeboten wurde, der die Position fast zwanzig Jahre lang innehatte.

1939 floh er aus Nazi-Deutschland und wurde im Warschauer Ghetto gefangen, wo er ein prominenter Führer war. Wegen seiner russischen Staatsbürgerschaft sperrten ihn die Deutschen zusammen mit russischen Kriegsgefangenen ein, so dass er die Konzentrationslager meiden und den Krieg überleben konnte. Nach dem Krieg brachte ihn ein treuer Student, Rav Schaul Weingort, nach Montreux, Schweiz, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1966 lebte. Trotz vieler prominenter rabbinischer Positionen auf der ganzen Welt entschied sich Rav Weinberg, die Schweiz nicht zu verlassen, wo er viele einflussreiche und wichtige Responsen verfasste.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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