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Blasen des Schofars ‘zur Zeit des Versteckens’ – Paraschat Ha’asinu 5785

Wofür wird dieses Lied (Paraschat Ha’asinu oder auch die gesamte Tora) ein Zeugnis ablegen?

Wofür wird dieses Lied (Paraschat Ha’asinu oder auch die gesamte Tora) ein Zeugnis ablegen?
Foto: AI free sharing

Blasen des Schofars ‘zur Zeit des Versteckens’ – Paraschat Ha’asinu 5785

Rav Frand zu Paraschat Ha’asinu 5784

Ergänzungen: S. Weinmann

Rav Jisrael Meir Lau, der frühere Oberrabbiner von Erez Jisrael, schrieb eine Autobiographie, die in Hebräisch den Titel “Al tischlach Jadcha el haNa’ar” (Lege deine Hand nicht an den Knaben) trägt, basierend auf dem Passuk im Ereignis der Akejda (Bindung von Jizchak) [Berejschit 22:12]. In Englisch lautet der Titel der Autobiographie “Out of the Depths”. Das Buch erzählt die fesselnde Geschichte seines Lebens.

Rav Jisrael Meir Lau wurde aus dem KZ Buchenwald befreit, als er acht Jahre alt war. Sein Bruder Naftali rettete ihn. Es ist eine faszinierende Geschichte. Er schreibt, dass er, nachdem er Oberrabbiner von Israel wurde, zur Schul seines Vaters in der polnischen Stadt Piotrkow Trybunalski zurückkehrte. Sein Vater war vor dem Krieg der Oberrabbiner dieser Stadt gewesen. Seine beiden Eltern wurden im Holocaust ermordet, und jetzt kam er am Schabbat vor Tisch’a beAw als Oberrabbiner von Israel dorthin zurück.

Er beschreibt in seiner Autobiographie die Rede, die er in jener Schul am “Schabbat Chason” hielt. Er zitierte den Midrasch Raba [Petichta 24] zur Megilat (Rolle) Ejcha, dass als der Herr der Welt das erste Bejt Hamikdasch (Tempel) zerstörte, der Prophet Jirmijahu zur Me’arat (Höhle) Hamachpela ging und die Patriarchen “aufweckte”, damit sie ein Bittgesuch an den Allmächtigen zugunsten ihrer Kinder einreichen sollten, die diese Tragödie erlebt hatten.

Jirmijahu weckte Awraham Awinu auf und wusch Awrahams Hände. Awraham kam zum Ribbono schel Olam und fragte: Warum geschieht dies meinen Kindern?” Der Ribbono schel Olam antwortete: “Es ist, weil deine Kinder gesündigt haben; Ich werde gleich die 22 Buchstaben des Aleph Bejt vorladen, um gegen sie Zeugnis abzulegen.”

Das Aleph stand auf, um Zeugnis gegen Israel abzulegen, und Awraham Awinu sagte zum Aleph: “Schäme dich! Wie kannst du gegen Klall Jisrael aussagen? Die Asseret Hadibrot (Zehn Gebote) beginnen mit dem Buchstaben Aleph (Anochi Haschem Elokecha). War es nicht das jüdische Volk, das bedingungslos – als einziges Volk der Welt – Haschems Tora am Sinai annahm und sagte: ‘Wir werden tun und wir werden hören’ (Na’asse Wenischma)?” Der Midrasch sagt, dass das Aleph verstummte und davonging.

Der Buchstabe Bejt wurde dann herbeigerufen, um auszusagen. Wiederum fragte Awraham: “Schämst du dich nicht, gegen das jüdische Volk auszusagen? Beginnt die Tora nicht mit dem Buchstaben Bejt (Berejschit bara Elokim)? Als Haschem die Tora nahm und sie allen Nationen der Welt anbot, war keine Nation bereit, sie zu akzeptieren. Sie wollten alle wissen, was darin geschrieben stand. Als sie den Inhalt der Tora hörten, weigerten sie sich alle, sie anzunehmen. Klall Jisrael jedoch stellte keine Fragen. Sie sagten Na’asse Wenischma und akzeptierten sie.” Der Midrasch sagt, dass das Bejt verstummte und nicht gegen Klall Jisrael aussagen konnte.

Der Midrasch fährt fort, dass dies mit allen Buchstaben des Aleph Bejt geschah. Rabbi Lau zitierte daraufhin einen Gedanken im Namen seines Schwiegervaters, Rav Jizchak Jedidia Frankel, der Oberrabbiner von Tel Aviv war. Rav Frankel schlug eine neuartige Erklärung eines Passuks in Paraschat Wajelech (Schabbat Schuwa) [Dewarim 31:21] vor, und interpretierte ihn etwas anders als die normale Interpretation: ” …So soll, wenn viele Unglücke und Leiden es (das jüdische Volk) treffen werden, dieses Lied (Paraschat Ha’asinu oder auch die gesamte Tora), das nie aus dem Munde seiner Nachkommen schwinden wird, vor ihm als Zeuge aussagen…” 

Die einfache Erklärung dieses Verses ist, dass die Tora bezeugt, dass sie nicht vergessen werden wird und deshalb gegen Israel in Ihrer Bedrängnis Zeugnis ablegen wird, dass sie gewarnt wurden. Rav Jizchak Jedidia Frankel erklärt jedoch, dass Mosche etwas anderes beteuert:

“Ich sehe mit meinen geistigen Augen ein Bild, das anders ausschaut als das, was Awraham (im obengenannten Midrasch) sah. Awraham bat die Buchstaben der Tora, ihre Zeugenaussage zurückzuziehen. Ich (Mosche Rabbenu) jedoch bitte die Tora genau umgekehrt, Zeugnis abzulegen. Dieses “Lied”, das Lied unseres Lebens, wird vor dem Ribbono schel OIam (Herr der Welt) aussagen, dass sie von den Kindern der Nation in ihren ärgsten Nöten nicht vergessen wurde. Die Tora selbst wird Zeugnis ablegen, dass die Kinder Israel sie nicht vergassen.”

Die Tora wird erzählen, wie Juden während dem Holocaust in den Wald rannten, um Schofar zu blasen, um nicht die Mizwa von Rosch Haschana zu verpassen. Juden gaben bereitwillig ihre Scheibe Brot auf längere Zeit auf, damit sie es für Kartoffeln am Pessach austauschen konnten. Sie bewahrten kleine Stückchen Margarine auf und verwandelten sie mit einer heissen Teebüchse zu Öl. Dann träufelten sie das Öl in die Knöpfe ihrer gestreiften Uniform, um Chanukalicht zu zünden, indem sie Fäden als Dochte aus ihren Ärmeln herauszogen. Nachdem sie bereit waren, all dies zu tun, war es wirklich nötig, dass Awraham die Tora bat, auf ihre Aussage zu verzichten? Vielmehr “soll dieses Lied selbst als Zeuge dafür dienen, dass die Tora von den Mündern der Kinder der Nation auch in den schwierigsten Zeiten und unter entsetzlichsten Umständen nicht vergessen wurde!”

Ich möchte ein Beispiel dieser Hingabe an die Tora unter schwierigen Umständen erzählen, indem ich eine Geschichte aus der Einführung eines Sefers (Buches) namens Sche’elot uTeschuwot Mekadschej Haschem (Responsen an diejenigen, die G”ttes Name heiligten), von Raw Zvi Hirsch Meislisch wiederhole, der seine späteren Jahre in Chicago verbrachte, die Kriegsjahre jedoch in einigen Konzentrationslager durchmachte. Er war als der “Weizener Raw” bekannt.

Rabbi Meislisch erzählt über einen Rosch Haschana in Auschwitz. Es befand sich dort eine Gruppe von jungen früheren Jeschiwabachurim, die vor ihrer lebendigen Verbrennung standen. Sie brachten in Erfahrung, dass Raw Meislisch ein Schofar eingeschmuggelt hatte. Es war der erste Tag Rosch Haschana, fast am Ende des Tages. Sie baten Rav Meislisch bitterlich, er solle in ihre Zelle kommen und für sie die hundert Schofartöne blasen, damit sie diese Mizwa ein letztes Mal erfüllen könnten. Rabbi Meislisch schreibt, dass er zutiefst beunruhigt war. Er wusste nicht, was zu tun, da solch eine Trotzhandlung sicherlich sein Leben gefährden würde, falls er von den Nazis erwischt würde. Sein Dilemma verschärfte sich noch dadurch, dass sein junger Sohn Salman Leib ihn flehend bat, sein Leben nicht zu riskieren, da er wegen der verwegenen Handlung seines Vaters ein Waisenkind bleiben würde.

Raw Meislisch schreibt, dass er den Entscheid fällte, nicht auf seinen eigenen Sohn zu hören, und Schofar für die Jeschiwa-Bachurim zu blasen, was immer auch geschehen würde. Er schreibt, dass seine Handlung in Wahrheit nicht den halachischen Prinzipien entsprochen habe (welches ein mögliches Märtyrertum für die Ausübung eines Gebots wie Tekiat Schofar verbietet). Er erklärt, dass er diese Handlung nur unternahm, weil er sowieso nicht annahm, dass er lange in Auschwitz überleben würde, und fühlte, dass die massgebende Halacha, die ein Märtyrertum verbietet, unter solchen Umständen vielleicht nicht gänzlich anwendbar sei. Er beschloss, in den Block der Bachurim zu gehen und Schofar für sie zu blasen. Er wollte gerade beginnen, Schofar zu blasen, als sie ihn inständig baten: “Rabbi, Rabbi, hab Erbarmen! Bitte sprich doch zu uns einige Worte der geistigen Erweckung, bevor du Schofar bläst.” Können wir uns so etwas vorstellen? Dies sind junge Bachurim, die innert Stunden sterben sollen, und sie beharren darauf, vor dem Schofarblasen in Auschwitz einen “Schmuss (Mahnworte)” zu hören!

Rabbi Meislisch erläuterte ihnen den Passuk “Tik’u baChodesch Schofar, bakesse leJom Chagejnu – Blast Schofar am Neumonds-Tag, zur “Zeit des Versteckens” am Tag unseres Feiertags [Tehillim/Psalm 81:4]. Die einfache Interpretation des Passuks “Zeit des Versteckens” (bakesse) bezieht sich auf die Tatsache, dass der Mond zu Beginn des Monats verdeckt (unsichtbar) ist. Er interpretierte es jedoch damit, dass sie sich in einer Zeit befinden, da Haschems Fügung vor ihnen verborgen ist. Sie konnten nicht ergründen, warum ihnen all dies geschah. Trotzdem, sagte er ihnen, “müssen wir Bitachon (Vertrauen) haben”.

Er gab ihnen diese Erklärung und blies daraufhin Schofar. Er schreibt, dass er diese Begebenheit aufgeschrieben hat, weil er wollte, dass die Welt sich ewig des grossen Messirat Nefesch (Selbstaufopferung) bewusst sein würde, die diese jungen Männer bewiesen. Kurz bevor sie zum Krematorium gebracht wurden, gerade als Rabbi Meislisch ihren Block verlassen wollte, stand einer der Männer auf und sprach zu seinen Kameraden: “Der Rebbe hat uns gestärkt und gesagt, dass wir nie die Hoffnung aufgeben sollten und immer auf Güte hoffen sollen; aber wir müssen auch auf das Schlimmste vorbereitet sein. Um G”ttes willen, liebe Brüder, wollen wir nicht verwirrt werden und nicht vergessen, mit grosser Hingabe und Intensität im letzten Moment unseres Lebens “Schema Jisrael!” zu schreien. Sie schrien daraufhin alle mit grosser Hingabe und Intensität “Schema Jisrael Haschem Elokejnu Haschem Echad”. Dann stand ein weiterer Mann auf und sagte: “Lasst uns alle die grosse Selbstaufopferung des Rebben würdigen, hierher zu kommen, um für uns Schofar zu blasen. Lasst uns alle ihm eine Beracha (Segen) geben, dass er im Verdienst dieser Handlung verschont bleiben und von hier herauskommen möge und ein langes, gutes und gesundes Leben haben möge.” Alle schrien laut “Amen weAmen”. (Ihr Segen ging in Erfüllung)

Dies ist nur ein Teil der Geschichte. Aber dies ist es, was Raw Jedidia Frankel meinte, als er den Passuk in Paraschat Wajelech “Wehajta haSchira hasot leEjd – dieses Lied möge vor ihm als Zeuge aussagen” dahin interpretierte, dass die Tora selbst Zeugnis über die Tatsache ablegen würde, dass sie von den Mündern der Kinder der Nation nicht vergessen wurde. Sogar in den schlimmsten Zeiten vergass Klall Jisrael die Tora nicht. Diese Geschichten beschreiben ein unfassbares Mass an Messirat Nefesch durch grosse Helden unseres Volkes, die vor nicht so langer Zeit lebten. Das Messirat Nefesch von so vielen Mitgliedern unseres Volkes über alle Generationen hinweg soll eine Quelle des Verdienstes für uns alle sein. Wenn Haschem der Akejdat Jizchak am Rosch Haschana gedenkt, möge Er nicht nur des Messirat Nefesch der Patriarchen gedenken, sondern auch der gerechten anonymen jungen Männer und Frauen in allen Generationen, die kennzeichnend sind für die Geschichte, die vom Weizener Raw aufgezeichnet wurde.

In solchem Verdienst möge der Allmächtige uns mit einem guten und gesunden Jahr, einer Gemar Chatima Towa, benschen. Mögen wir Frieden, Seelenruhe und Freude von unseren Kindern haben. Möge er uns den Erlöser und die endgültige Erlösung bringen, ohne dass wir irgendwelche weitere Leiden von “Chewlej Maschiach – Wehen vor Maschiach” erleiden müssen.

Quellen und Persönlichkeiten:

Rav Zvi Hirsch Meisels (Meislisch), (1902 – 1974); Neimark, (Galizien), Weizen (Ungarn), Chicago (USA). Auch bekannt als: “Weizener Rav”. Lebte im Holocaust in einigen Konzentrationslagern. War oft der einzige Rav, der für Häftlinge schwere Entscheidungen treffen musste. Schrieb ein erschütterndes Buch: Sche’elot uTeschuwot Mekadschej Haschem (Responsen und auch viele aufrüttelnde Episoden und Geschichten im Holocaust).

 

Rav Jedidia Jizchak Frenkel (1913-1986); Lintschiz (Polen), Tel Aviv (Israel). Oberrabbiner von Tel Aviv ab 1973. Verfasser von unzähligen Werken. Schwiegervater von Rav Israel Meir Lau.

Rav Israel Meir Lau (geb.1937Piotrków Trybunalski (Polen), Tel Aviv (Israel). Gewesener       Oberrabbiner des Staates Israel, nachher Oberrabbiner der Stadt Tel Aviv. Überlebte den Holocaust im KZ Buchenwald. Verfasser von diversen berühmten Werken, wie Wie Juden leben“ und „Lege deine Hand nicht an den Knaben” in dutzende Sprachen.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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