Tischri/ Paraschat Wajelech
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Die Tora achtet auf den Selbstwert der Armen

Raw Frand zu Parschat Zav 5772 (Beitrag 2)

Die Tora geht sehr sorgsam mit dem Selbstwertgefühl des Ani, des vom Glück weniger begünstigten, um. Einerseits achtet die Tora darauf, dass Aharon, der Kohen Gadol (Hohepriester) nicht hochnäsig wird, andererseits legt die Tora Wert darauf, dass ein Armer nicht verzagt und in seinen Gefühlen verletzt wird.
Es gibt eine interessante Gemara im Traktat Baba Kama [92a]. Die Mischna im Traktat Bikurim [3,8] beschreibt, wie die Erstlingsfrüchte, die Bikurim, in Jerusalem den Priestern übergeben wurden. Die Reichen übergaben ihre Früchte in goldenen und silbernen Körben. Die Armen, die ihre einfachen Feldfrüchte darbrachten, konnten sich keine goldenen Körbe leisten. Sie brachten ihre Früchte in geflochtenen Schilfkörben.

Darauf sagt die Gemara, dass die Priester, die Kohanim, den Reichen ihre goldenen und silbernen Körbe zurückgaben, die Schilfkörbe der Armen behielten sie jedoch. Der Talmud meint, dass dies ein Beispiel für das Sprichwort der Menschen sei (frei aus dem Aramäischen übersetzt): „ Die Armut verfolgt den Armen!“ Bedeutung: Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Der reiche Bursche erhält seinen Korb zurück, aber der Arme, der sich dies kaum leisten kann, bekommt seinen Korb nicht zurück!

Die Mischna-Erklärer geben dazu folgende Erklärung: Die Reichen verfügen über ganze Fruchthaine und können dem Kohen viele Früchte übergeben. Der Arme hat eine geringere Ernte und hat nur wenig Bikurim zu bieten. Wenn diese Früchte im Korb gelassen werden, sehen diese Bikurim wenigstens nach etwas mehr aus. Deshalb sagt die Tora, dass der Kohen den Korb behalten soll, obwohl der Arme einen finanziellen Verlust erleidet, weil dadurch wenigstens sein Selbstwertgefühl erhalten bleibt. Dies zeigt uns, wie sehr sich die Torah bemüht, um einen Menschen nicht zu beschämen.

Es kam einmal jemand zu mir, der Geld für Hachnassat Kallah (Hochzeitsausgaben für eine arme Braut) sammeln wollte, die in derselben Stadt lebte wie er. Er stellte mir folgende Frage: Er wäre imstande, einen grossen Geldbetrag aufzubringen, wenn er den Leuten sagen könnte, für wen er

sammelte; die betroffene Familie war nämlich wohlbekannt und respektiert. Falls er aber nur einen anonymen Aufruf für Hachnassat Kallah mache, könnte er kaum einen grösseren Betrag zusammenbringen, denn derartige Aufrufe erscheinen jede Woche mehrmals. Seine Frage war: Sollte er den Namen der Person erwähnen um damit mehr Geld zu erhalten oder sollte er die Anonymität wahren obwohl er dadurch viel weniger sammeln könne.

Damals fragte ich den Rosch Jeschiwa (Rav Jakow Ruderman szl.). Ohne lange zu überlegen und ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete er: „Es soll anonym bleiben, weil die Ehre eines Menschen sehr viel wert ist.“

Dies ist die Lehre der Körbe: Das Selbstwertgefühl eines Menschen ist sehr viel wert. Es ist es sogar wert, Geld deswegen zu verlieren. Geld kann jederzeit ersetzt werden, aber die Ehre oder den Stolz eines Menschen ist viel schwerer wiederherzustellen.

 

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