Cheschwan / Paraschat Wajera
Cheschwan / Paraschat Wajera

Awraham stellt wenig Wasser bereit, jedoch viel Brot und Fleisch. Weshalb? (Paraschat Wajera 5786)

Güte mit Verstand und Rücksicht kombinieren!

Awraham stellt wenig Wasser bereit, jedoch viel Brot und Fleisch. Weshalb? (Paraschat Wajera 5786)

Güte mit Verstand und Rücksicht kombinieren!
Foto: AI Avigail

Awraham stellt wenig Wasser bereit, jedoch viel Brot und Fleisch. Weshalb?

Rav Frand zu Paraschat Wajera 5786

mit Ergänzungen von S. Weinmann

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Über Raw Jisrael Salanter wird eine berühmte Geschichte erzählt, die mit der dieswöchigen Parascha zu tun hat. Der Gründer der Mussar - Bewegung war einmal zu Gast bei einem angesehenen Gemeindepräsidenten. Der Gastgeber bemerkte, dass Raw Jisrael, als er seine Hände vor dem Essen übergoss, nur bis zu den Handknöcheln, dort wo die Finger in die Hand übergehen, wusch. Er war überrascht, dass der hochgeachtete Raw sich nicht an den allgemeinen Brauch hielt, die Hände bis zum Handgelenk (‘ad haPerek’) zu waschen. Während der Mahlzeit fragte er den grossen Rabbiner, weshalb er sich mit dem minimalen Standard zufriedengab. Raw Jisrael erklärte, dass es sehr gut sei, machmir zu sein (zu erschweren) und sich bis zum Handgelenk zu waschen. Dies jedoch nur, wenn man sich nicht darum kümmert, wer das Wasser transportieren muss.

In jenen Tagen, vor der Errichtung der Wasserkanalisation und den Wasserhähnen, war der Wasserträger ein weitverbreiteter Beruf in Europa. Diese mussten Wasserkübel von den Flüssen und Brunnen in die privaten Häuser schleppen. Raw Jisrael wollte nicht, dass jemand anders, wegen seiner eigenen Frömmigkeit oder seinem Verlangen, Mizwot (Gebote) auf die optimalste Weise zu erfüllen, mehr Wasser schleppen müsste Er hielt sich an "Sei kein Zaddik (frommer Mensch) auf die Rechnung eines andern."

Der Schemen HaTow bemerkt, dass der Ursprung dieser Anekdote in unserer Parascha steckt. Paraschat Wajera ist die Parascha von Hachnassat Orchim (Gastfreundlichkeit). Awraham sieht drei vorbeigehende Reisende, er wusste nicht, dass es Engel waren, und kann nicht genug für sie tun. Er bereitet eine Unmenge an Essen, ganz speziell aber Fleisch (drei Kälber, wegen ihrer leckeren Zungen) und Brot, für ihr Labsal vor. Alles, was er für sie tut, ist in grosser Menge vorhanden. Die einzige Ausnahme ist Wasser. Er spricht zu den Gästen: "Es soll doch ein wenig Wasser genommen werden und wascht eure Füsse und lehnt euch an unter dem Baum." [Bereschit 18:4]

Weshalb ist Awraham so sparsam mit Wasser, wenn er mit Fleisch und Brot so grosszügig war? Der Talmud schreibt in Baba Mezia [86b], die Ausdrucksweise von Awraham beweist, dass er das Wasser für die Gäste durch einen Boten (Schliach) holen liess. Jedoch das Essen bereitete er selbst vor und sparte dabei weder an Mühe noch an der Menge. Weil aber die Mizwa des Wasserbringens durch einen Schliach ausgeführt wurde, wollte Awraham den Boten nicht mehr als nötig belästigen und begnügte sich damit, "ein wenig Wasser“ bereit zu stellen. Wer sagt, dass die Bequemlichkeit von Gästen wichtiger ist als die des Wasserträgers?

Dies zeigt uns, dass der Chessed (die Wohltätigkeit) von Awraham Awinu auf der Tatsache basierte, dass er Haschems Ebenbild in jedem Menschen sah. Er behandelte Menschen in einer solch achtungsvollen Art, weil er ihn ihnen diesen himmlischen Teil sah. Dies ist nicht einfach zu erreichen, gelinde gesagt. Da sein Chessed auf dieser Wertschätzung beruhte, verteilte er seine Wohltätigkeit nicht blind. Er hatte die Grösse und die Einsicht zu realisieren, dass man manchmal den Chessed gegenüber einem Menschen einschränken muss, um nicht die Ehre oder den Respekt, der einem anderen gebührt, einzuschränken.

Diese Grösse steht im starken Gegensatz zu einem anderen "Ba‘al Chessed" (Wohltäter) in dieser Parascha. Lot wohnte in Sedom, einer Stadt, die bekannt war für ihren Mangel an Chessed, gelinde gesagt. Als aber dieselben Engel nach Sedom kamen, offeriert ihnen Lot seine Gastfreundlichkeit trotz dem Risiko, dass er seinen Ruf, wenn nicht sogar sein Leben verlieren kann. Er nimmt sie heim und bewirtet sie königlich. Schliesslich lernte er es von Awraham Awinu wie Gastfreundschaft auszuüben sei.

Was aber sehr schwierig zu verstehen ist, wie es sein kann, dass derselbe "Ba‘al Chessed" seine Töchter der Schändung preisgeben wollte. Als die Menschen von Sedom an seiner Tür klopften und die Herausgabe seiner Gäste zur Schändung verlangten, war Lots Antwort auf ihre Forderung: "Nehmt meine Töchter statt sie."

Was geschah mit seinem Chessed, mit seiner Wohltätigkeit? Wie kann jemand so etwas tun?

Die Antwort ist, wenn ein Mensch Chessed übt, weil er in jedem andern Menschen das g“ttliche Ebenbild sieht, dann kann er nie so was tun. Man würde nie die eigene Familie opfern, um eine Wohltat für jemand anders zu tun. Chessed, der als Egotrip praktiziert wird, Chessed, der zeigen soll, "ich bin ein so netter Mensch", der endet vielleicht mit einer solch unangebrachten Tat. Chessed, der nicht auf dem Konzept basiert, dass "Wertvoll ist der Mensch, der in Seinem Ebenbild erschaffen wurde" [Pirkej Awot 3:18] könnte einen Menschen dazu bringen, die verrücktesten Dinge zu tun."

Quellen und Persönlichkeiten:

Rabbi Jisrael (Lipkin) Salanter (1810 – 1883), war jüdischer Gelehrter, Rabbiner und Gründer der         Mussarbewegung (Schulung des Charakters). Er forderte eine intensivere Verknüpfung von Halacha und Ethik in Theorie und Alltagspraxis des Judentums. Sein wichtigstes Anliegen war die sittliche Läuterung, Selbsterkenntnis und Selbstvervollkommnung. Rosch Jeschiwa in Wilna und Kovno; Litauen.

Rabbi Dov Ze’ev Weinberger (gest. 2018). Er war Rabbiner der Young Israel of Williamsburg, Brooklyn, N.Y. Angesehener Gelehrter. Autor des Sefer Schemen HaTov al haTorah, Erklärungen zum Chumasch.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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