Wochenabschnitt Paraschat Wajeschew: Drei Lektionen aus der Geschichte von Josef und der Frau Potiphars
Rav Frand zu Parsachat Wajeschew 5785
Ergänzungen: S. Weinmann
Josef arbeitete im Haus von Potiphar. Potiphars Frau hatte ihn im Auge. Jeden Tag versuchte sie, ihn zu verführen, aber Josef lehnte sie ab. "Und es war an einem Tag, als er das Haus betrat, um "Melachto - seine Arbeit" zu verrichten, als von den Hausleuten niemand drinnen im Haus war…" (Bereschit 39:11).
Raschi zitiert eine Gemara (Talmudstelle) (Traktat Sota 36b), in der die berühmten Talmudgelehrten Raw und Schemuel die Bedeutung dieses Passuks diskutieren. Einer von ihnen sagt, dass Josef das Haus betrat, um seine (gewohnte) Arbeit zu verrichten. Der andere sieht das Wort "Melachto" (seine Arbeit) als eine beschönigende Beschreibung dafür an, dass Josef in Wirklichkeit ins Haus kam, um mit Potiphars Frau eine Affäre zu haben. Die Gestalt von Josefs Vater Ja’akow erschien ihm jedoch im Fenster, und er zog sich von dieser Awejra (Sünde) zurück.
Angesichts der Meinung (wonach Josef dabei war, eine Sünde zu begehen) benötigte es wirklich etwas Übernatürliches, um ihn zu stoppen. Der Midrasch Rabba (Bereschit 87:6) bemerkt, dass eine römische Matrone Raw Jossi fragte, wie es möglich war, dass dieser 17jährige Junge, der von seiner Familie weit entfernt war und einsam in einer sehr verdorbenen Gesellschaft lebte, diesem beharrlichen Versuch, ihn zu verführen, standhielt? Es ist diese Frage, die die Gemara in Sota beantwortet: Das Ebenbild seines Vaters erschien ihm im Fenster und sagte ihm: "Wenn du dies tust, wird dein Name auf dem Brustschild des Kohen Gadol gelöscht werden (der Hohepriester trug ein Schild mit zwölf Edelsteinen, auf denen die zwölf Namen der Stämme eingraviert waren). Mit anderen Worten: Willst du auf ewig von mir und meiner gesamten Familie abgeschnitten werden." Dies stoppte Josef.
Es gibt drei Lektionen, die ich von diesem Vorfall hervorbringen möchte:
Lektion 1: Rabbi Ja’akov Kamenetsky sagt, dass wir von dieser Gemara sehen, wie wichtig es ist, dass ein Vater seine Integrität und Würde in den Augen seiner Kinder aufrechterhält. Josef wurde durch die Drohung, dass er von der Familie seines Vaters abgeschnitten würde, daran gehindert, dieses schreckliche Verbrechen zu begehen. Dies ist auf der Annahme basiert, dass die Verbindung mit seinem Vater und der Familie für Josef sehr wichtig war. Josef sah Ja’akow als einen Baumstamm und sich selbst als einen Ast dieses Stammes. Josef wollte ein Teil dieses Baumes bleiben.
Ein Vater, der seine Würde und Integrität vor seinem Kind nicht aufrechterhält, vermindert die Motivation seines Kindes, Teil des Familienstammbaums zu bleiben. "Dann wirst du mich eben von dir abtrennen – nicht so schlimm!" Raw Ja’akov schreibt, dass dies einer der Grundsätze des Chinuchs ist – dass ein Vater von seinen Kindern bewundert werden sollte. So wie der Talmud (Chagiga 15b) sagt, dass ein Raw (Lehrer, Magister) mit einem Engel vergleichbar sein sollte, sollte auch ein Vater ein bedeutendes Vorbild sein, jemand, zu dem seine Kinder aufschauen und ihn bewundern.
Lektion 2: Der Chatam Sofer stellt eine Frage Ende Paraschat Wajechi, die ich nie zuvor gesehen hatte. Josef beruhigt seine Brüder (nach Ja’akows Tod), indem er ihnen sagt, dass er ihnen nicht zürnt. Sie hatten etwas Furchtbares gegen ihn geplant, aber Haschem hatte es zum Guten gewendet. Dies war alles ein Teil des G"ttlichen Plans, dass Josef die Welt vor der Hungersnot retten sollte.
Der Chatam Sofer stellt die Frage: Wir wissen, dass Josef durch das Ebenbild seines Vaters, das ihm vom Fenster her erschien, von den Plänen der Frau Potiphars gerettet wurde. Warum jedoch sahen die zehn Brüder, als sie Josef verkaufen wollten, nicht das Ebenbild ihres Vaters? Josef war ein Sohn Ja’akows, der dabei war, etwas Falsches zu tun. Haschem half ihm auf wundersame Weise, dem zu widerstehen, indem er ihm das Bild seines Vaters im Fenster zeigte. Warum tat Haschem nicht dasselbe für die zehn Brüder, als sie Josef verkaufen wollten?
Der Chatam Sofer antwortet: Josef selbst hatte dieselbe Frage. Er fragte sich, warum ich? Warum tat der Ewige dies nicht auch für meine Brüder, und rettete sie vor der schweren Awejra, ihren Bruder als Sklaven zu verkaufen? Josefs Schlussfolgerung war, dass Haschem wollte, dass sie ihn nach Mizrajim (Ägypten) verkaufen sollten. Dies war alles ein Teil des G"ttlichen Plans. Haschem wollte sich offenkundig nicht einmischen und Josef davor retten, nach Mizrajim zu gelangen. Der Masterplan war es, dass Josef nach Mizrajim hinuntergebracht werden sollte und letztendlich nicht nur seine Familie, sondern die ganze Welt retten würde.
Als die Brüder nach Ja’akows Tod dann zu Josef kamen und befürchteten, dass er sich an ihnen rächen würde, sagte er ihnen, dass sie sich nicht sorgen sollten. "Ich weiss, dass dies nicht euer Fehler war. Vielleicht hättet ihr es nicht tun sollen, aber es war alles ein Teil der Pläne des Ribbono schel Olam (Herr der Welt)".
Der Ramban schreibt in der dieswöchigen Parascha (37:15) "HaGesejra Emet wehaCharizut Scheker" (wörtlich: "Bei einem wahren Plan, ist aller Fleiss (dagegen) nichtig". Lose übersetzt, was Haschem geschehen lassen will, wird geschehen, und alle Machenschaften der Menschen werden keinen Deut ausmachen). Wir wissen oder verstehen nicht, warum Haschem will, dass gewisse Dinge geschehen. Im Fall von Josefs Verkauf nach Mizrajim begriff Josef im Nachhinein, warum es geschehen war.
Dies ist der Grund, warum Josef mit seinen Brüdern grosszügig sein konnte. Er hatte dieses Phänomen - über das wundersame Erscheinen seines Vaters im Fenster, das ihn daran hinderte, die Sünde zu begehen – begriffen; denn das Gleiche geschah nicht, um seine Brüder daran zu hindern, ihre Awejra zu begehen. Dies war der Beweis für ihn, dass sein Verkauf in die Sklaverei letzten Endes der Wille von Haschem war.
Lektion 3: Ich sah eine interessante Bemerkung im Sefer Milchamot Jehuda. Sogar wenn der Grund dafür, dass der Allmächtige den Brüdern erlaubte, Josef zu verkaufen, derjenige war, dass Josef nach Mizrajim kommen musste, warum wollte der Ribbono schel Olam, dass Josef die Prüfung mit Potiphars Frau durchstehen sollte? Warum geschah dies?
Nach dem Milchamot Jehuda gab es einen ganz bestimmten Grund. Der Grund dafür war, dass der Allmächtige wusste, dass die Juden schliesslich nach Ägypten kommen werden. Dies wurde Awraham bereits beim Brit bejn haBetarim (Bund zwischen den Stücken) prophezeit. Haschem wusste, dass Mizrajim ein amoralisches Land war – ein Land, das in Unzucht und Masslosigkeit versunken war. Wie konnten Juden in der Sittenlosigkeit überleben, die Mizrajim durchdrang? Die Antwort ist, dass die Tatsache, dass Josef in der Lage war, dieser Prüfung standzuhalten und nicht der Sünde der Arajot (verbotene Beziehungen) zu erliegen, es Juden ermöglichte, erstaunlicherweise nie der Begierde eines Ehebruchs zu erliegen, während der ganzen Zeit – sage und schreibe, während 210 Jahren! - in der sie in Mizrajim waren! (mit Ausnahme einer Frau und dies geschah auch nur anhand eines Irrtums)
Wie kam es zu so einem Mysterium? Die Gesellschaft beeinflusst doch die Menschen. Mizrajim war voller Unzucht und doch wirkte sich das nicht auf die Nachkommen von Ja’akow aus. Die Antwort ist: Josefs Fähigkeit, der Versuchung standzuhalten, setzte das Fundament, das Muster und den Standard der Moral in Klall Jisrael, das diejenigen rettete, die später nach Ägypten kamen.
Und so war es in jedem einzelnen Galut (Exil), welches das jüdische Volk durchleben musste. Der Ewige stellt dauernd in jenen Ländern Zaddikim (geistige Führer) hin, welche die Pioniere und Wegbereiter sind, die diejenigen stärken, die später dort negativen Einflüssen widerstehen müssen.
Man betrachte Folgendes: Was ist die grösste Prüfung in Amerika? Es ist die Prüfung des Geldes und des Materialismus. Es ist das überwältigende Begehren, Geld zu verdienen und anzuhäufen. Wir befinden uns kurz vor der "Ausverkaufs-Saison". Es ist unglaublich, was die Leute alles kaufen. Sie verschulden sich. Sie geben Tausende von Dollars für Dinge aus, die sie nicht benötigen. Eine Frau wurde in einer Zeitung mit den Worten zitiert, dass "es nichts in der Welt gibt, das ich benötige, das mich dazu veranlassen würde, eine ganze Nacht lang vor dem Geschäft Walmart zu warten, um es mit einer grossen Reduktion zu kaufen." Sie ist jedoch eine seltene Ausnahme. Hunderte und Tausende von Menschen lagern Stunden vor Walmart und Best Buy, um die angebotenen Ausverkaufsgegenstände zu erhalten.
Auch wenn es nicht zu dieser Jahreszeit ist – was ist der nationale Zeitvertrieb in Amerika? Früher einmal war es Baseball, vielleicht Fussball. Heute ist die Lieblingsbeschäftigung in Amerika das Einkaufen. Es ist das Geld. Geld zu verdienen, Geld zu besitzen, Geld auszugeben. Dies ist die Prüfung dieses Landes, zumindest zur heutigen Zeit.
Als ich ein Bachur (Student) in der Jeschiwa war, besass Raw Kulefsky kein Auto. Er teilte ein Auto mit einem Bachur. Können Sie sich vorstellen, dass ein Rebbe ein Auto mit einem Bachur teilt? In diesem gemeinsamen Auto befand sich im Bodenbrett ein Loch. Der Autofahrer konnte die Strasse sehen.
Raw Henkin weigerte sich, mehr als $60.- von Esrat Tora anzunehmen, weil er wollte, dass das Geld für Zedaka verwendet würde. Raw Mosche Feinstein lebte in einer kleinen Wohnung auf der Lower East Side. Diese Menschen lebten in Armut, weil das Tora-Lernen für sie wichtiger war als Geld zu besitzen.
Was vollbrachten sie? Heute gibt es Tausende und Abertausende von Benej Tora in Erez Jisrael und in Amerika - in Lakewood, in Baltimore, in New York und in Jeruschalajim und überall – die al Taharat Hakodesch sitzen und lernen, und es ist hart! Trotz allen Geschichten über reiche Schwiegerväter und Subventionen leben die Leute von der Hand in den Mund! Leute leben in Armut, um Tora lernen zu können.
Es ist nicht wie jemand, der während seiner Ausbildung für den Arztberuf in Armut lebt, oder jemand, der es in den ersten Jahren des Studiums an der juristischen Fakultät schwer hat, aber später ein erstklassiger Arzt oder ein Wall Street Anwalt wird, mit einem Anfangssalär von $150'000 im Jahr. Nachdem die Leute bis im Alter von etwa vierzig Jahren im Kollel gelernt haben, finden manche von ihnen nie eine Stelle. Sie haben keine grossen Chancen. Es gibt heute viel mehr Leute, die Tora lernen, als vorhandene Stellen. Dies ist die Realität, aber sie tun es trotzdem.
Dies ist eine Revolution. Die Leute, die diese Revolution bewirkt haben, sind die Leute – die Roschej Jeschiwa – die in den 1920er, 1930er und 1940er Jahren hierherkamen und den Trend bestimmt haben, dass Limud Hatora wichtiger ist als das Geldverdienen.
Dies war das Ziel der Prüfung Josefs durch Potiphars Frau. Der Ribbono schel Olam stellte ihn auf die Probe, die er erfolgreich bestand, damit seine Kinder und Nachkommen nach ihm solche schweren Prüfungen in Mizrajim durchstehen können würden.
- Midrasch Rabba (der grosse Midrasch): Grosse Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch der Tanna’im (Mischnagelehrten) und Amora’im (Talmudgelehrten).
- Ramban: Akronym von Rabbi Mosche ben Nachman – "Nachmanides" (1194 - 1270); Gerona, Spanien; Erez Jisrael; einer der führenden Toragelehrten (Rischonim) des Mittelalters, einer der Haupterklärer des Chumasch (fünf Bücher Moses), wie Verfasser weiterer Werke in Haschkafa (Kitwej haRamba“n) und Abhandlungen zum Talmud.
- Chatam Sofer (1762-1839) [Rabbi Mosche Sofer / Schreiber]; Pressburg/Bratislava, Slowakei. Rosch Jeschiwa und einer der führenden Rabbiner des 19. Jahrhunderts. Er schrieb zahlreiche Werke, wie acht Bände Responsen, 18 Bände Erklärungen zum Talmud, Kommentare zur Tora, Briefe, Gedichte und ein Tagebuch. Die meisten Werke tragen den Namen „Chatam Sofer“.
- Rabbi Ja'akov Kamenetsky (1891-1986); Minsk, Slobodka, Seattle, Toronto und New York. War Rabbiner, Rosch Jeschiwa, Possek und grosser Talmudgelehrter. Rosch Jeschiwa von Tora We’Daat, Brooklyn. Zusammen mit Rabbi Mosche Feinstein leitete er das amerikanische Judentum in Fragen der Halacha und in spirituellen Führung bis 1986, als beide Grössen diese Welt verliessen. Verfasser von verschieden Werken, wie Emet leJaakov zum Schulchan Aruch und Erklärungen zum Chumasch.
- Rabbi Mordechai Jehuda Lubert, (gest. 1997); Kutna (Polen) und N.Y. (USA). Verfasser von den Werken Milchamot Jehuda zum Talmud und Chumasch. Berühmter Schüler der Jeschiwat Chachmej Lublin von Rabbi Meir Schapira.
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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