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Das Verdienst von zwanzig Jahren der ehrlichen Arbeit übertraf das Verdienst der Vorväter (Paraschat Wajeze 5785)

Was ist der Zusammenhang zwischen Geld und Engeln, die auf der Leiter hinauf- und hinabsteigen?

Was ist der Zusammenhang zwischen Geld und Engeln, die auf der Leiter hinauf- und hinabsteigen?
Foto: AI Avigail

Wochenabschnitt Paraschat Wajeze: Das Verdienst von zwanzig Jahren der ehrlichen Arbeit übertraf das Verdienst der Vorväter

Rav Frand zu Paraschat Wajeze 5785 – Beitrag 1

Ergänzungen: S. Weinmann

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Die dieswöchige Parascha enthält Ja’akows berühmten Traum der Leiter, deren Füsse auf dem Boden stehen und deren Spitze zum Himmel reicht. Die Mal’achim (Engel) von Haschem steigen auf der Leiter hinauf und hinab. Der Ba’al Haturim macht die folgende interessante jedoch fast unergründliche Äusserung: Der Zahlenwert des hebräischen Wortes Sulam (Leiter) ist der gleiche wie das hebräische Wort Mamon (Geld) (136). Diese gemeinsame "Gimatria" von 136 lehrt uns offensichtlich eine Art von Symbolik zwischen den Engeln, die auf der Leiter hinauf- und hinabsteigen, und Geld. Was ist der Zusammenhang?

Eine der üblichen Interpretationen des Ba’al Haturim basiert auf der Tatsache, dass eine der grossen Prüfungen im Leben die Art ist, wie wir mit Geld umgehen. Ich las einst einen Artikel meines lieben Freundes Rav Ja’akow Luban zu diesem Thema. Wir haben alle das Phänomen im Leben beobachtet, dass wenn ein Mensch sich in der Jeschiwa befindet, er nach Geistigkeit, Wachstum in intellektueller Errungenschaft und Erwerb von Torawissen strebt. Oft jedoch, wenn derselbe Mensch die beschützende Mauer der Jeschiwa verlässt, ändern sich seine Prioritäten. Er ist nicht länger am Wachstum interessiert und seine Geistigkeit beginnt zu schwinden.

Der hauptsächliche Grund dafür ist, dass wenn ein Mensch die Jeschiwa verlässt und nicht mehr ledig ist und von den Eltern unterstützt wird, sondern heiratet und nun für seinen eigenen Lebensunterhalt verantwortlich ist, seine Lebensauffassung sich ändert. Die Belastung, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verzerrt seine ganze Lebensauffassung. Ein Mensch wird so davon verzehrt im Versuch, eine anständige Parnassa für sich und seine Familie zu verdienen, dass die Prioritäten, die für ihn als Jeschiwabachur wichtig waren (wie eine gute Chawruta (Lernpartner) zu ergattern, einen guten Elul Sman zu haben, etc.) auf der Strecke bleiben und nicht mehr wichtig sind. Anstattdessen sagt er sich "Ich muss Essen auf den Tisch bringen" und "Ich muss die Hypothek bezahlen".

Das Joch des Verdienens eines Lebensunterhalts ist eine der grossen Prüfungen im Leben - nicht nur bezüglich des Verdienstes, sondern auch bezüglich der Prüfungen, mit denen ein Mensch in der Arbeitswelt konfrontiert wird - ehrlich und rechtschaffen zu handeln, keine Abstriche zu machen, nicht zu versuchen, Leute zu betrügen, etc.

Vielleicht ist es das, was der Ba’al Haturim hier meint, wenn Ja’akow die Annehmlichkeiten der Jeschiwa und den Schutz seines Elternhauses verlässt und sich auf seinen Lebensweg in die "reale Welt" begibt. Er sieht die "Sulam" (Leiter), welche die Herausforderungen des "Mamon" (Geld=Lebensunterhalt verdienen), verkörpert. Er sieht die Engel von Haschem, die auf der Leiter hinauf- und hinabsteigen. Er sieht sowohl das Potential für einen Aufstieg als auch das Potential für einen Abstieg beim Versuch, die Leiter zu überqueren, bei dem Versuch, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Ja’akow Awinu (unser Vater) bestand die Prüfung des Verdienens eines Lebensunterhalts mit Bravour. Nicht nur machte er keine Abstriche, sondern er war unfehlbar ehrlich. Er war unfehlbar ehrlich mit einem Schwiegervater, der ein Schurke war. Dies liess Jakow nicht sagen: "Mit einem Schwindler muss man schwindeln; Feuer muss man mit Feuer bekämpfen". Dies war nicht sein Verhalten. Als Ja’akow endlich das Haus von Lawan verliess, verfolgte Lawan ihn und holte ihn beim Berg Gilead ein. Der Allmächtige kam zu Lawan im nächtlichen Traum und sagte ihm: "Hüte dich, Ja’akow zu bereden, sei es im Guten oder im Bösen!" In der Tat warnte Haschem Lawan: "Lass Ja’akow sein, mache ihm nichts und überrede ihn zu nichts, auch nicht zu etwas, das in deinen Augen als gut erscheint." Der Midrasch Tanchuma (13) sagt zu diesem Passuk etwas Interessantes: Wir sehen von hier, dass das Verdienst von Ja’akows ehrlicher Arbeit für Lawan ihm mehr Verdienst gab als das Verdienst seiner Väter (Sechut Awot).

Der Midrasch basiert dies auf dem Passuk: "Wäre nicht der G"tt meines Vaters mit mir gewesen, der G"tt Awrahams und der, den Jizchak fürchtet, hättest du mich sicher mit leeren Händen weggeschickt; G"tt hat mein Elend und die Mühe meiner Hände gesehen und (hat dich) gestern Nacht zurechtgewiesen (oder: gerichtet)" (Bereschit 31:42).

Ich habe immer empfunden, dass dieser Dialog zwischen Ja’akow und Lawan einer der ergreifendsten Dialoge in der ganzen Tora ist. Lawan kommt zu Ja’akow und sagt zu ihm: "Was hast du getan? Du hast meine Töchter weggenommen! Du hast mich betrogen! Was ist dies für ein Verhalten?" Ja’akow Awinu schüttet dann seinem Schwiegervater sein Herz aus. Er beantwortet die ganze Litanei der Anschuldigungen von Lawan. "Ich habe dich nicht betrogen. Du hast mich betrogen! Ich habe in der Nacht in der Kälte gelitten! Ich habe am Tag in der Hitze gelitten! Während zwanzig Jahren habe ich mich treu um deine Schafe gekümmert! Ich hatte kaum Zeit zu schlafen. Du hast die Bedingungen meiner Arbeit immer wieder geändert, um deine Position zu verbessern! Wenn nicht der G"tt von Awraham und Der, den Jizchak fürchtet (mein Sechut Awot) mich beschützt hätte, wäre ich mittellos geblieben. Ich hätte dein Haus als armer Mann verlassen. Zudem hat G"tt mein Elend und die mühselige Arbeit meiner Hände gesehen und (hat dich) gestern Nacht zurechtgewiesen (oder: gerichtet)."

Der Midrasch interpretiert diesen Passuk wie folgt: Der Sechut Awot (Verdienst der Vorfahren) half ihm nur, indem er es ihm erlaubte, vor Lawan zu flüchten, ohne mittellos zu sein. Die Tatsache jedoch, dass Lawan ihm und seiner Familie nichts antun konnte, dass er unversehrt blieb – war eine Belohnung für die Treue seiner Arbeit. Weil Haschem seine Ehrlichkeit und die Hingabe für seine Arbeit sah, erschien Er Lawan und verbat ihm, Ja’akow in irgendwelcher Weise oder Form zu schaden.

Der Midrasch sagt ferner, dass wir von hier sehen, dass ein Mensch bei seiner Arbeit nicht nachlässig sein soll. Er solle nicht sagen: "Ich kann es mir leicht machen, ich muss nicht arbeiten, ich werde essen und trinken und G-tt wird den Segen schon schicken" (oder als Arbeitnehmer, ich muss keine hundertprozentige Anstrengung für meinen Arbeitgeber leisten). Ein Mensch muss "sich abmühen und mit beiden Händen arbeiten" (eine volle und ehrliche Anstrengung bei all seinen Arbeiten leisten), "damit Haschem ihm Seine Beracha schicken kann".

Der Rambam schreibt im letzten Gesetz von Hilchot Ssechirut (Lohn- und Mietgesetze) (13:7): Genauso wie der Arbeitgeber den armen Arbeiter ehrlich behandeln muss (seinen Lohn nicht zu stehlen oder zurückzuhalten), wird auch der arme Arbeiter gewarnt, nicht die Arbeit des Arbeitgebers zu "stehlen" um sich hier und dort Zeit freizunehmen, womit er den ganzen Tag mit Betrug verbringt. Er muss vielmehr während seiner Arbeitszeit äusserst genau mit sich sein. Unsere Weisen bestimmten, dass er die vierte Beracha (den vierten Segensspruch) von Birkat Hamason  (Tischgebet) nicht sagen soll, da er damit die Zeit, in der er verpflichtet ist, für seinen Arbeitgeber zu arbeiten, "verschwendet". Auch muss er mit seiner ganzen Kraft arbeiten, wie der Zaddik Ja’akow sagte: "Denn mit meiner ganzen Kraft arbeitete ich für euren Vater". Deshalb erhielt er für dies sogar in dieser Welt eine Belohnung, wie geschrieben steht: "Und der Mann hatte sehr grossen Erfolg (er wurde über alle Masse reich)."

Es ist interessant, dass der Rambam hier Ja’akow mit "Ja’akow haZaddik" betitelt (ein Ausdruck, der normalerweise für Josef reserviert ist), und nicht Ja’akow Awinu sagt. Warum nennt er ihn Ja’akow haZaddik? Weil er ein ehrlicher Arbeiter war. Er ist das absolute Musterbeispiel eines ehrlichen Angestellten.

 Quellen und Persönlichkeiten:

Midrasch Tanchuma: Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch. Wird nach dem Amora (Talmudgelehrten) Rabbi Tanchuma Bar Abba benannt, da er am häufigsten in diesem Midrasch zitiert wird. Er war ein jüdischer Amora der 6. Generation, einer der bedeutendsten Aggadisten seiner Zeit.

Rambam, Akronym für Rabbi Mosche ben Maimon (Maimonides) (1135 – 1204); Spanien, Ägypten, Israel. Einer der bedeutendsten Rischonim, seine Hauptwerke sind: Das umfassende Werk zum jüdischen Recht „Mischne Tora-Jad Hachsaka“, Erklärung zur Mischna und „Moreh Newuchim“ (Führer der Irrenden / Unschlüssigen), wie weitere Werke.

Rabbi Ja‘akov ben Ascher (1269 – 1343): Köln (Deutschland), Toledo (Spanien). Er war eine halachische Autorität des Mittelalters. Er verfasste berühmte Werke wie die "Arba’a Turim"("vier Reihen", da sein Werk vier Gesetzesabteilungen umfasst), oft nur mit dem Kürzel "Tur" genannt, eine der ersten kompletten jüdischen Gesetzessammlungen, die Basis unseres Schulchan Aruch’s (Gesetzbuch) von Rabbi Josef Karo. Seine Tora-Erklärung wird deshalb "Ba’al HaTurim" (Meister der Turim) genannt.

Rav Ja’akow Luban.  Rabbiner der Kongregation Ohr Thora in Edison, New Jersey, USA.  Er ist auch der geschäftsführende Rabbinerkoordinator der Kosher-Orthodox-Union und Mitglied des Va'ad HaRabbanim im Raritan Valley. Er lernte bei Rabbi Chajim Schmuelevitz in der Mirer Jeschiva in Jeruschalajim, Israel, wie auch  in Beth Medrash Govoha von Philadelphia. Er erhielt seine rabbinische Semicha (Ordination) von Rabbi Schne’ur Kotler, im Jahre 1979.

Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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