Wochenabschnitt Paraschat Wajelech: Ein dreifädiger Zwirn, der Bitachon (Vertrauen) lehrt: Schmitta, Sukka und Alija leRegel
Rav Frand zu Paraschat Nizawim – Wajelech5784
Ergänzungen: S. Weinmann
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In Paraschat Wajelech gibt uns die Tora die Mizwa von Hakhel: "Und Mosche gab ihnen die Weisung: Am Ende von sieben Jahren, zur Zeit des Schmitta-Jahres (Erlassjahr) am Sukkot-Fest, wenn ganz Israel vor dem Angesicht des Ewigen, deines G"ttes, am Ort, den Er erwählen wird, erscheinen wird, sollst du diese Lehre in Gegenwart von ganz Israel laut vorlesen. Versammle das Volk, die Männer, die Frauen und die Kinder und den Fremden, der in deinen Toren weilt, auf dass sie sie hören und auf dass sie sie lernen, dass sie den Ewigen, euren G"tt, fürchten und alle Worte dieser Lehre sorgfältig hüten sollen" (Dewarim 31:10-13).
Am Ausgang des ersten Sukkot-Festtages – immer nach einem Schmitta-Jahr – errichtete man in der Esrat Naschim (‘Frauenhalle’, dort durften auch Frauen vor G-tt erscheinen) des Bejt Hamikdasch (Tempel) eine Bühne aus Holz. Der König sass auf der Bühne, inmitten der gesamten Gemeinde, am zweiten Tag des Sukkot-Festes, nach dem Schmittajahr, und las aus einer Sefer Tora der versammelten Menge vor. Es ist interessant: Wir haben den Zusammenfluss von drei Ereignissen: Moza’ej Schmitta, Moza’ej des ersten Sukkot-Festtages und Alija leRegel. (Am Ende eines Schmittajahres; am Ende des ersten Sukkot-Festtages, und alle Juden sind versammelt, weil sie als Allija leRegel (Pilger-Fest) nach Jeruschalajim gereist sind).
Der Rosch Jeschiwa der Gateshead Jeschiwa, Rabbi Awraham Gurwicz, erwähnt einen wunderschönen Gedanken, dass diese drei Ereignisse einen gemeinsamen Nenner haben: Alle drei verbundenen Mizwot (Schmitta, Alija laRegel, Sukka) betonen dem Juden die Eigenschaft des Vertrauens (Bitachon) in Haschem.
Wenn jemand die Schmitta beendet hat, hat er ein Jahr lang nicht auf seinen Feldern gearbeitet, sondern sich auf Denjenigen verlassen, Der uns den Lebensunterhalt gibt. Der Farmer gewinnt damit eine neue Perspektive über das Leben. Wenn er ein Jahr später sieht, dass er immer noch Unterstützung hat, realisiert er den Begriff, dass "Er Derjenige ist, Der dir die Kraft gibt, Vermögen zu erwerben…" (Dewarim 8, 18).
Alija laRegel ist auch eine Lektion des Vertrauens. Jeder verlässt sein Heim und kommt mit seiner ganzen Familie zum Tempel in Jerusalem. Wer beschützt sein Eigentum in dieser Zeit? Wer überwacht seine Farm? Die Antwort ist, dass kein Menschenwesen die Farm überwachen wird, dass jedoch Jemand die Farm überwacht. Auch dies ist eine Lektion des Vertrauens in den Einzigen, Der der Wächter Israels ist. Der Allmächtige garantiert "Niemand wird dein Land begehren, wenn du hinaufziehst, um vor dem Ewigen, deinem G-tt, dreimal im Jahr zu erscheinen" (Schemot 34:24). Niemand wird etwas stehlen. Die Nachbarn werden deine Sachen nicht berühren. Dein Eigentum ist sicher. Wir sehen auch hier echtes Bitachon (Vertrauen) in der Praxis.
Als letztes ist Sukkot auch eine Lektion im Glauben. Was ist Sukkot? Sukkot ist ein "Gehen nach Mir in der Wüste in einem nicht angesäten Land" (Jirmijahu 2:2). Der Herr des Alls nahm uns aus Ägypten in den Schatten des Todes hinaus. Wir fanden uns in einer Wüste ohne Brot und Wasser und ohne Schutz vor schädlichen Elementen, wie Hitze, Kälte und wilden Tieren – aber der Herr der Welt beschützte uns und umgab uns und gab uns alles Nötige vierzig Jahre lang. Deshalb sitzen wir in Sukkot, in provisorischen Hütten, um dieses Ereignis in Erinnerung zu bringen. "Denn in Hütten habe Ich die Kinder Israels wohnen lassen, als ich sie aus dem Land Ägypten geführt habe…" (Wajikra 23:43).
Hier haben wir also den Zusammenfluss von drei Ereignissen, drei Zeitperioden, die zu uns die Wahrheit ausrufen, dass es am Ende des Tages der Allmächtige ist, Der sich um uns kümmerte und Der uns den Lebensunterhalt dauernd liefert. Dies ist der Grund, warum dies die angemessene Zeit ist, die Tora in Anwesenheit von ganz Israel (Mizwa von Hakhel) zu lesen.
Es gibt normalerweise so viele Dinge, die in unserem Leben geschehen, die uns daran hindern, uns dem Ruchniut (Spiritualität) und der Geistigkeit zu widmen. Wir sind im Allgemeinen so beschäftigt mit der Notwendigkeit, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, dass wir keine Zeit fürs Lernen oder ausreichend Zeit für die Gebete und Betrachtungen von geistigen Angelegenheiten haben. Jetzt befinden wir uns aber vor Rosch Haschana und wir sagen uns selbst immer: "Wir möchten mehr lernen, mit mehr Andacht dawenen (beten), wir möchten bessere Juden sein, aber wir können es wegen unseren Bemühungen für den Lebensunterhalt (Tirdat haParnassa) nicht tun.
Wir geben die Schuld für unseren Mangel an Geistigkeit oder unseren Mangel an Gelassenheit dem Druck, den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Lektion des ‘Hakhel’ ist, dass wir wirklich gelassen sein sollten, weil es am Ende der Ribbono schel Olam (Herr der Welt) ist, Der die Parnassa bringt. Wir legen ein Lippenbekenntnis dazu ab und sagen es, aber wir glauben es nicht wahrlich.
Das heisst nicht, dass jeder morgen seine Arbeit aufgeben und sich einem Kollel anschliessen sollte, und dass seine Familie problemlos weiterleben wird. Man muss eine rechtmässige Anstrengung unternehmen, um den Lebensunterhalt zu verdienen (Hischtadlut). Aber man muss realisieren, dass es am Ende der Ribbono schel Olam ist, Der uns gibt, was wir erhalten sollten, und dass das Übernehmen von zusätzlichen Arbeitsstunden keinen Unterschied machen wird.
Was Hakhel uns gibt, ist eine Lektion in Bitachon, was eine Lektion der Gelassenheit ist. Wenn es eine Beracha gibt, für die wir alle dawenen sollten, ist es nicht nur, dass es ein Jahr des Friedens (Schalom) für unsere Brüder, die Kinder Israels in allen Plätzen, wo sie sich befinden, sein soll, sondern dass es auch ein Jahr des Frohsinnes und Ruhe (Schalwa) sein soll, dass wir realisieren, dass der Ribbono schel Olam Sich um uns kümmert. Je länger wir leben, desto mehr sehen wir die Hand des Allmächtigen in unserem Leben. Wir sehen, dass Er letzten Endes Sich um uns kümmert und uns versorgt. Dieser Glauben gibt einem Menschen eine gewisse Gelassenheit, mit der er sich dem Leben stellen kann.
Wenn wir dieses Gefühl des Vertrauens (Bitachon) und dieses Gefühl des Frohsinns haben, können wir die Dinge tun, die wir tun möchten – sei es Lernen oder Dawenen oder mehr Zeit mit unseren Kindern und unseren Familien verbringen, mit ihnen geistig zu wachsen. Letzten Endes realisieren wir, dass "Er es ist, Der uns die Stärke gibt, mit Kühnheit zu handeln".
Möge der Ribbono schel Olam uns mit einem Jahr der Erlösung, einem Jahr des Friedens und der Gelassenheit für uns und ganz Israel benschen.
Rabbi Awraham ben Leib Gurwicz (geb. 1939) Gateshead (England). Er ist Rabbiner und Talmud-Gelehrter. Seit 1982 ist er der Rosch Jeschiwa der Gateshead Talmudical College, einer Jeschiwa in Gateshead, wo er seit etwa einem halben Jahrhundert den größten Schiur (Torah-Vortrag) in Europa mit etwa 400 Studenten hält. Darüber hinaus ist er Präsident der Gateshead Community Kollel. Rabbi Gurwicz ist der zweite Sohn von Rabbi Leib Gurwicz, dem vorherigen Gateshead Rosch Jeschiwa. Er ist der Enkel von Rabbi Elyah Lopian und Schwiegersohn von Reb Elyahs Sohn Rabbi Leib Lopian. Durch die Mutter seines Vaters ist er ein Nachkomme des Wilnaer Gaon.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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