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Elul/ Paraschat Ki Tawo
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Das Erkennen des Schamgefühls (Paraschat Dewarim 5784)

Sind wir fähig alle gesellschaftlichen Mängel auszumerzen?

Sind wir fähig alle gesellschaftlichen Mängel auszumerzen?
Foto: AI free sharing

Wochenabschnitt Paraschat Dewarim: Das Erkennen des Schamgefühls

Rav Wein zu Paraschat Dewarim – Schabbat Chason 5784

Ergänzungen: S. Weinmann

Weitere Artikel zum Wochenabschnitt , finden Sie hier

Wir befinden uns in den neun Tagen der Trauer für Jerusalems Fall und die Zerstörung der beiden Tempel. Dieser Schabbat, der immer Tisch’a beAw vorangeht, nimmt seinen Namen von der Haftara des Propheten Jeschajahu (1. Kapitel), die in der Synagoge gelesen wird und mit den Worten ‘Chason Jeschajahu’ beginnt. Die Worte des Propheten verurteilen die sozialen Übel seiner Zeit und Gesellschaft – Korruption der Regierung, wirtschaftliche Ungerechtigkeit und ein Mangel an gesetzlicher und sozialer Gerechtigkeit. Dies sind jedoch Probleme, die alle menschlichen Gesellschaften seit Menschengedenken plagen. Und sie sind auch in unserer gegenwärtigen Welt und nationalen Gesellschaft allgegenwärtig.

Auf den ersten Blick also könnte man zum Schluss kommen, dass der Prophet unmögliche Forderungen stellt, da das menschliche Verhalten und soziale Interaktionen diese Angelegenheiten nie gänzlich eliminieren können. Und wir sind uns wohl bewusst, dass die Tora von den Menschen nie Unmögliches fordert. Was ist also der Grund für die Kritik und das scharfe Urteil des Propheten? Was ist es, das er wirklich von uns fehlbaren sterblichen Geschöpfen fordert?

Ich bin der Meinung, dass er von uns fordert, dass wir die Mängel in unserer Gesellschaft zumindest realisieren und anerkennen. Es wird uns vielleicht nicht möglich sein, sie alle gänzlich zu korrigieren, aber wir sollten uns bewusst sein, dass sie existieren. Wir sollten es nie zulassen, dass eine Apathie die Möglichkeit hat, unsere besseren Instinkte zu überwältigen und unser endloses Bestreben nach einer verbesserten sozialen Struktur zu stoppen.

Der Prophet fordert, dass wir in unserem Versuch, die sozialen Bedingungen der Welt, in der wir leben, zu verbessern, unerbittlich bleiben, sogar wenn wir von Anfang an wissen, dass ein völliger Erfolg jenseits von unseren menschlichen Fähigkeiten ist. Wenn wir unsere gesellschaftlichen Mängel ohne ein Murmeln des Bedauerns oder der Beschwerde akzeptieren, machen wir uns an unserer letztendlichen Zerstörung mitschuldig.

Der Chafez Chajim soll gesagt haben, dass was ihn dazu motivierte, sein monumentales Werk über das Übel der Verleumdung und der schlechten Rede zu schreiben, die Tatsache war, dass er bemerkte, dass Leute, die in solche Reden involviert waren, nicht länger ein Bedauern über ihre Worte mehr ausdrückten. Die üble Nachrede wurde in der Gesellschaft akzeptiert, und es gab nach solch einem Benehmen kein Gefühl der Scham oder der Verlegenheit mehr.

Scham ist eine bedeutende Waffe für das Gute, und wenn sie aus der Gesellschaft verschwindet, wenn unverschämtes Eigeninteresse und Habgier legitimiert wird, warnt uns der Prophet vor einem bevorstehenden Verhängnis. Politiker, die wegen ihrem früheren Verhalten in Ungnade gefallen sind, konkurrieren weiterhin für ein öffentliches Amt, wie wenn die Tatsache, dass sie schon in Haft waren oder von einem öffentlichen Amt zurücktreten mussten, für sie permanent reinen Tisch macht.

Eine Gesellschaft, die keine Scham fühlt, deren Führer nie die moralische Verworfenheit ihres vergangenen Verhaltens anerkennen, verdammt sich dem Übel der Begünstigung, Korruption und Ungerechtigkeit, die ihre Existenz heimsuchen. Der Prophet fordert von uns, dass auch wenn wir unfähig sind, alle Übel zu korrigieren, wir zumindest Scham fühlen sollten, dass solche Übel und Unrechte in unserer Gesellschaft existieren.

Diese Anerkennung und das Gefühl der Scham, die es begleitet, dienen als Basis für eine mögliche nötige Verbesserung in sozialer Gesinnung und gesellschaftlichem Verhalten. Dann wird die optimistische Vorhersage des Propheten (Jeschajahu 1:27 – letzter Vers der Haftara) “Zion wird durch Gerechtigkeit erlöst werden, und diejenigen, die zu ihm zurückkehren, werden Erlösung durch Rechtschaffenheit finden” voll erfüllt werden.

Quellen und Persönlichkeiten:

Chafez Chajim: (1838-1933): Rabbi Jisrael Me’ir HaKohen von Radin. Autor grundlegender Werke zu jüdischem Recht und jüdischen Werten (Halachah, Haschkafah und Mussar), wie die Werke ‚Mischna Berura‘, ‚Chafez Chajim‘, ‚Schmirat Halaschon‘, Machane Israel, etc. Einer der prominentesten Führer des orthodoxen Judentums vor dem 2. Weltkrieg.  

Er war ein Pionier mit seinen Werken. Im Jahr 1873, im Alter von fünfunddreissig Jahren veröffentlichte er anonym sein erstes Werk, ‘Chafez Chajim’, in dem er klare religiöse Vorschriften gegen Üble Nachrede, Verleumdung und Klatsch (hebr. Laschon Hara) formuliert. Der Titel kann mit ‘der das Leben will’ übersetzt werden und stammt aus Tehilim/Psalm 34,13–14: „Wer ist der Mann, der Leben begehrt (haChafez Chajim), der sich Tage wünscht, an denen er Gutes schaut? Behüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nicht betrügen“. Der Chafez Chajim legte grossen Wert auf die Einhaltung dieser Gesetze und verfasste auch ein Morgengebet dazu. In einem zweiten Buch, ‘Schmirat haLaschon’, veröffentlichte er 1876 eine Fortsetzung mit ethisch-moralischen Erklärungen der Wichtigkeit dieser Gesetze.

Sein bekanntestes, heute weit verbreitetes und im aschkenasischen Judentum als massgeblich anerkanntes Werk ist sein sechsbändiger Kommentar zum Schulchan Aruch, Teil ‘Orach Chajim’: ‘Mischna Berura’ (deutsch ‘Klare Lehre’ 1884–1907), an dem er, unterstützt von seinem Sohn und seinen Schwiegersöhnen, rund fünfundzwanzig Jahre gearbeitet hat. Der Mischna Berura kommentiert den Teil Orach Chajim des Schulchan Aruch Satz für Satz. (Der Schulchan Aruch wurde von Rabbi Josef Karo (Zefat/Safed 1488-1575), verfasst, mit den Anmerkungen von Rabbi Mosche Isserles, (Krakau 1520-1572); bekannt mit dem Akronym ‘Rem’a’).

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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