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Cheschwan/ Paraschat Wajera
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Perspektiven zu Sukkot, dem Laubhüttenfest 5783

Perspektiven zu Sukkot, dem Laubhüttenfest 5783

Von Raw Jakov Ascher Sinclair

Aus: DJZ, Nr. 39/40, 14. Tischri 5768 / 26. Sept. 2007

Ergänzungen: S. Weinmann

Der Schatten

Sehen wir uns den Schatten an! Der Schatten selbst hat keine Substanz. Er ist kurzlebig, aber er beweist die Existenz von etwas Anderem.

Der Schatten am Boden symbolisiert zwei Realitäten: Den Boden, das Hier und Jetzt, das Materielle, das Konkrete: aber der Schatten weist auf irgendetwas über dem Hier und Jetzt, über dem Materiellen, hin.

Nichts ist so gegenstandslos wie ein Schatten. Und doch verrät der Schatten den Umriss einer Sache, die sich darüber befindet.

Der Hauptbestandteil einer Sukka ist deren Schatten. Eine Sukka, die über mehr Sonne als Schatten verfügt, ist untauglich. Unsere Weisen lehren, dass wir in der Sukka im “Schatten des G”ttvertrauens” sitzen. Unsere geistigen Meister lernten diese Phrase aus einem Passuk (Vers) in Schir Haschirim (Hohelied) [2:3]: “In Seinem Schatten, ich erfreute mich dort und dort sass ich, und die Frucht Seiner Tora war süss für meinen Gaumen.”

G”ttvertrauen kann mit einem Schatten verglichen werden. Es ist das Vertrauen in Etwas, das man nicht sehen kann. Wir können uns bewusst sein, dass es einen G”tt gibt, doch können wir Ihn nicht erblicken. Wir nehmen den “Schatten” Seiner Existenz wahr, sind aber nicht fähig, die Wirklichkeit direkt zu sehen. Wir können die Nähe zu G”tt nur empfinden, aber nicht sehen. Die Nähe zu G”tt wird durch das Kosten “der Früchte Seiner Tora” erlebt. Wir können die Süsse jener Existenz wahrnehmen, die über uns liegt.

Genau aus diesem Grund aber, dass Er erhaben ist, ist es uns nicht möglich, diese Existenz jemals zu erblicken. Als Mosche Haschem bat, ihm die Offenbarung Seiner Existenz zu zeigen, erwiderte Haschem: “Du kannst Mein Gesicht nicht sehen, denn ein Mensch kann Mich nicht sehen und leben.” [Schemot 33:20]

Eine Sukka ist untauglich, wenn sie mehr Sonne als Schatten aufweist, weil jemand, der in einer solchen Sukka sitzt, sich nicht im Schatten des G”ttvertrauens befindet, sondern an der prallen Sonne. Grundsätzlich erlaubt die Sonne das Bestehen des Schattens nicht. Die Völker der Erde werden mit der Sonne verglichen. Die Sonne sagt: “Wenn du etwas nicht sehen kannst, existiert es nicht. Was nicht offenbar ist, ist nicht da. Existenz besteht aus Offenbarung.”

Haschem verhüllt Sich Midda keneged Midda (Mass um Mass) mit Seinen Geschöpfen. Wenn die Nationen der Welt kommen und sich darüber beschweren werden, dass G”tt ihnen die Mizwot nicht gab, die das jüdische Volk erhielt, wird Er ihnen (als Prüfung) eine einfache Mizwa wie diejenige einer Sukka geben. Um ihnen Ernst zu prüfen, wird G”tt das Wetter sehr heiss werden lassen. Sie werden der Sukka einen heftigen Stoss versetzen und diese verlassen [Talmud Traktat Awoda Sara 3a-b].

Darauf frägt der Talmud: Die Halacha ist doch, dass auch ein Israelit, der sich durch das Sitzen in der Sukka unwohl fühlt (Kälte, Hitze, etc.) davon befreit ist? Darauf antwortet der Talmud: Ja, sicherlich ist es so, jedoch werden die Völker der Welt sich nicht damit zufriedengeben, die Sukka einfach zu verlassen, sondern werden ihr zusätzlich einen gnadenlosen Stoss versetzen. Für die Völker der Welt ist die Sukka nicht mehr als eine unbequeme Bretterbude, der sie Verachtung zeigen. Für das jüdische Volk stellt sie die Anwesenheit der G”ttlichen Präsenz auf dieser Welt dar.

Diese Welt ist wie eine Sukka, ein unbedeutendes Etwas, die den Menschen nicht schützen kann. Der Schatten des Vertrauens, der über jemandem ruht, der in der Sukka sitzt, ist aber stärker als ein mehrere Meter dickes Betondach.

Das Volk, das im Schatten des G”ttvertrauens weilt, erklärt, dass sich das menschliche Dasein über das Hier und Jetzt erstreckt, über das hinaus, was mit den fünf Sinnen des Menschen wahrgenommen werden kann. Vertrauen ist etwas, das sich im Schatten abspielt. Das Volk, welches sich im “Schatten des Vertrauens” aufhält, zieht dieses Vertrauen aus der Sukka, denn der Schatten der Sukka ist der Schatten des Vertrauens.

Ein Schatten hat jedoch noch eine andere Seite.

Gleich wie jeder Augenblick, jedes Dehnen der menschlichen Glieder und Muskeln durch eine lebende Seele im Menschen angetrieben wird, so werden in ähnlicher Weise auch sämtliche Kräfte aller Welten, all ihre Bewegungen und Einflüsse durch eine weitreichende Kettenreaktion motiviert und beeinflusst, die mit der Tat eines Menschen in der tiefsten aller Welten beginnt und die höchsten Sphären erklimmt.

In Tehillim/Psalm [121:5] heisst es: “Haschem ist dein Schatten.” Als G”tt die Welt erschuf, beschloss Er, dass alles, was innerhalb der Schöpfung geschieht, durch das Verhalten des Menschen gesteuert wird. Das Geistige, das von den höchsten Ebenen der Existent ausgeht, beschattet unsere individuelle Wahl. Jede gute Tat, die wir vollführen, steigt durch alle Welten hindurch zu den höchsten Orten. Dort löst sie einen Fluss positiver geistiger Energie aus, der dann durch alle Welten hindurch wieder hinabsinkt und auf diese Welt zurückkehrt. Jede Mizwa steigt zu ihrer höchsten geistigen Quelle hinauf und löst eine Lebensenergie aus, die durch die gesamte Schöpfung hindurch ihren Einfluss ausübt. Haschem ist unser “Schatten”. Er führt die Welt entsprechend unserer Taten.

Eine einfache Tat wie diejenige, im Schatten der Sukka zu sitzen, kann verursachen, dass der Wind bläst und der Regen rechtzeitig kommt, dass Kranke gesund werden, die Hungersnot aufhört und der Friede in diese geplagte Welt zurückkommt.

Am Sukkot halten wir die Arba Minim in den Händen – und “du sollst dich vor Haschem sieben Tage freuen”. [Wajikra 23:40]

Napoleon war kein grosser Schläfer. Er pflegte sich mit wenigen Stunden am Tag zu begnügen. Nicht, dass er unter Schlafstörungen litt. Er schlief einfach ungern. Jemand fragte ihn einmal, warum er so wenig schlafe. Er erwiderte: “Wenn ich wach bin, bin ich König der Welt. Wenn ich schlafe, bin ich nicht mehr als jeder andere Fusssoldat.”

Einer der grössten Tyrannen der “Ich-Generation” ist der Fluch des Glücks. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin nicht dagegen, glücklich zu sein. Glück, oder die Notwendigkeit, glücklich zu sein, kann aber eine Tyrannei von furchterregender Proportion darstellen.

Weil wir an einen gnädigen G”tt glauben, Der sich mit jeder kleinsten Einzelheit der Schöpfung befasst, ist auch ein Mangel an Glück kein weltbewegendes Ereignis. G”tt weiss, warum ich mich so fühle. Er weiss, warum ich mir mein Bein brach. Er weiss, weshalb meine Aktien fallen mussten. Wenn ich aber alles bin, was es gibt, wenn das Wissen um meine Existenz damit endet, dass ich nur meine eigene Existenz wahrnehme, dann ist diese Welt ein wahrhaftig einsamer Ort.

Welche Mizwa, glauben Sie, ist die schwerste Mizwa? Gewiss doch das eigene Leben aufzugeben, um G”ttes Namen zu heiligen?

Der Wilnaer Gaon aber sagt, dass die schwierigste Mizwa diejenige von “Simchat Jomtow” ist, der Pflicht der Tora, an den Festen Pessach, Schawuot und Sukkot fröhlich zu sein. Die meisten Mizwot erfüllen wir dadurch, dass wir eine Tat begehen. Wir legen Tefillin an, wir essen am ersten Pessach-Abend Mazza, wir enthalten uns am Jom Kippur des Essens.

Die Mizwa von Simchat Jomtow macht es aber notwendig, dass wir am Jomtow durchgehend fröhlich sind, siebenmal 24 Stunden. Es sollte keinen einzigen Augenblick geben, an dem wir nicht von Festtagsfreude erfüllt sind.

Kam es jemals vor, dass Sie eine ganze Woche lang ununterbrochen fröhlich waren? Oder auch nur einen ganzen Tag lang? Eine Stunde? Vielleicht. Und in dieser Stunde, gab es da keine einzige Sekunde, in der Sie etwa nicht das richtige Kleingeld in Ihrer Tasche fanden, oder sich einige Sekunden lang etwas müde fühlten? Vielleicht fühlten Sie sich nur eine kleine Sekunde lang ein wenig niedergeschlagen?

Fortwährende Freude? Dies ist sehr schwer zu erreichen.

Die Tora wurde aber nicht Engeln gegeben, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. Und wenn uns die Tora diese fortgesetzte Freude gebietet, dann ist es möglich, diese Stufe zu erreichen.

Die Mizwa von Simchat Jomtow wird hauptsächlich von Sukkot abgeleitet. “Und du sollst dich freuen an deinem Fest, und du sollst nur freudig sein.” [Dewarim 16:14-15] Unsere Weisen beschreiben Sukkot als “Zeit der Freude”. Was ist das Essentielle, das Sukkot zu einer freudigen Zeit macht?

Die meiste Zeit unseres Lebens leben wir in einer Illusion. Wir anerkennen zwar das Bestehen eines G”ttes auf der Welt. Leben wir jedoch wirklich diesem Wissen gemäss?

Erkenntnis verwandelt sich nicht automatisch in Wissen. Manchmal kann aber etwas geschehen, das unserer Selbstzufriedenheit einen Ruck versetzt. Jemand war schwer krank. Wir entkommen knapp einem Autounfall. Ein Terrorist zielt mit dem Gewehr auf uns und schiesst nicht. Das Wort “Wunder” kommt uns über die Lippen. Plötzlich fühlen wir uns G”tt sehr nahe. Das kleine egoistische Universum, das wir uns aufgebaut haben, wird kindisch und erbärmlich. Wir wissen, Wer alles macht. Und wie wir Ihm zu Dank verpflichtet sind. Dies ist die Essenz der Sukka. Der Aufenthalt im Schatten des G”ttvertrauens, um zu merken, Wer uns beschützt. Sieben Tage lang entfernen wir uns aus dem Trug der Wolkenkratzer und Türme und halten uns in Hütten auf. Damit wir merken, wie zerbrechlich wir eigentlich sind.

Das Gefühl, dass nur G”tt die Welt führt, besteht aus wahrer und anhaltender Freude. Wenn wir merken, dass wir nicht das Ein und Alles der Schöpfung sind, dass wir die geliebten Zahnräder eines unbegrenzten Planes sind, können wir uns entspannen und anerkennen, Wer auf dieser Welt alles führt.

Dies bedeutet die wahre Freude eines jüdischen Festtages.

Quellen und Persönlichkeiten:

Wilnaer Gaon: Rav Eljahu ben Schlomo Salman von Wilna (1720 – 1797), Wilna; Torahgenie, war ein bereits zu seinen Lebzeiten hoch geschätzter vielseitiger jüdischer Gelehrter. Er gilt als Inbegriff des aschkenasischen Judentums litauischer Prägung. Er schrieb mehr als 70 Kommentare zu ToraTalmud und Halacha. Sie befassen sich mit einem breiten Spektrum religiöser und gesellschaftlicher Fragen und sind Standardwerke jüdischer Gelehrsamkeit.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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