Wochenabschnitt Paraschat Mischpatim: Lass‘ dir dein Urteilsvermögen von deiner Lebenserfahrung nicht vernebeln
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„Du sollst keine Bestechung annehmen; denn Bestechung macht Sehende blind und verdreht die Worte der Gerechten.“[Schemot 23:8]. Sobald jemand Bestechung annimmt, wird sein Empfinden so weit beeinträchtigt, dass er eine Situation nicht mehr richtig einschätzen kann.
Unmittelbar nach der Warnung vor Bestechung, befiehlt uns die Tora: „Und einen Fremdling (Konvertiten) sollst du nicht bedrücken; ihr wisst ja, wie einem Fremdling zu Mute ist; denn Fremdlinge wart ihr im Land Ägypten.“ [Schemot 23:9].
Worin besteht die Verbindung zwischen dem ersten Gesetz, welches an die Richter adressiert ist und dem nachfolgenden Gesetz, das vom Benehmen gegenüber einem Konvertiten spricht? Der Schemen Hatov erklärt den Zusammenhang mit einem Konzept, das er „Bestechung durch Prüfungen im Leben eines Menschen“ nennt. Manchmal kann eine Person bestochen werden – nicht durch Bezahlung, sondern durch seine eigene Lebensgeschichte.
Leider kommt es vor, dass jemand seinen Vater verliert. Das Bild eines Waisen weckt automatisch Gefühle des Mitleids. Aber es kommt vor, dass eine bestimmte Person auf diese Situation völlig ohne Erbarmen reagiert. Warum? Auch diese Person hat ihren Vater früh verloren. Trotzdem hat sie das Leben gemeistert. Es war hart, aber sie hat es geschafft. Diesem Menschen fällt manchmal das Mitleid gegenüber Waisen schwer. Diese Person denkt mutmasslich: „Warum sind alle wegen diesem Kind so aufgeregt?“ Häufig zeigen genau jene Menschen, welche eine ähnliche Tragödie erlebt haben, am wenigsten Mitgefühl für jemanden in ähnlichen Umständen. Ihre Reaktion fällt strenger aus, statt – wie zu erwarten wäre – mitfühlender.
Ereignisse im Leben können einen Menschen verhärten, statt mitfühlender machen. Die Tora verlangt von uns, dass wir uns nicht bestechen lassen. Die Warnung erstreckt sich auf alle Ebenen des Lebens, nicht nur auf harte Währung. Der Schemen Hatow erklärt, dass die Tora uns ermahnt, in diesem Sinne keine kalten Gefühle gegen Konvertiten zu hegen – besonders wenn wir an unsere eigene Erfahrung denken, fremd in einem fremden Land gewesen zu sein.
Die Tatsache, dass jemand „es geschafft hat“, gibt ihm kein Recht zu sagen: „Ich habe es ganz allein geschafft – demzufolge kann der andere auch alleine durchkommen!“ Lass dich nicht durch deine Lebensgeschichte beeinflussen und bestechen und von deiner natürlichen Gemütsregung abhalten: Zeige demjenigen dein Mitgefühl, der vom Schicksal genauso oder weniger begünstigt wurde wie du.
Rabbi Dov Ze’ev Weinberger (gest. 2018). Er war Rabbiner der Young Israel of Williamsburg, Brooklyn, N.Y. Angesehener Gelehrter. Autor des Sefer Schemen HaTov al haTorah.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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